Warum wir PISA brauchen

Es geht wieder los: Derzeit besuchen eigens geschulte Testerinnen und Tester bis Mitte Juni bundesweit über 2000 Schulen – um Testergebnisse für die PISA-Studie zu sammeln. Die Studie steht immer wieder in der Diskussion und oft wird gefragt, welcher Nutzen damit verbunden ist. Professor Dr. Eckhard Klieme hat schon in verschiedenen verantwortlichen Positionen an der Studie mitgearbeitet und erklärt, warum wir aus seiner Sicht PISA brauchen. Der Text aus dem aktuellen Leibniz-Journal jetzt auch hier im DIPFblog.

Von Eckhard Klieme

Jeder PISA-Durchgang beschert mir komplizierte Verhandlungen in Expertenrunden und politischen Gremien, eine Flut von E-Mails und Telefonkonferenzen sowie Meetings in der ganzen Welt. Ich bereue es aber nicht, an der Studie mitzuarbeiten. Sie ist für mich ein Instrument der Aufklärung, das uns viel über die Probleme unseres Bildungssystems verrät und zu mehr Ehrlichkeit und Transparenz beiträgt. PISA hat einiges in Gang gebracht, ich denke da an Themen wie Migration, soziale Gerechtigkeit oder die Qualität des Unterrichts. Außerdem liefert die Studie eine einzigartige Datenbasis für die Schulforschung. Ich glaube, dass ihr Potenzial lange nicht ausgeschöpft ist. Auch wenn PISA für manche nur ‚diese Rankingliste‘ ist.

Wie funktioniert Bildung in verschiedenen Kulturen, Gesellschaften und unter verschiedenen Bedingungen? Diese Frage stellten sich die Begründer der international vergleichenden Bildungsforschung erstmals vor 50 Jahren – und auch PISA steht in dieser Tradition.
Die Studie ist aber auch ein Instrument der Bildungspolitik. Als Auftraggeber will die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihren Mitgliedern Daten und Wissen über die Kompetenzen von Schülern, aber auch über gesellschaftliche, soziale und ökonomische Entwicklungen zur Verfügung stellen, um früh auf Probleme und Handlungsbedarf in ihren Bildungssystemen hinzuweisen. Die Ergebnisse der Studie erzeugen Wettbewerb zwischen den Staaten und schaffen öffentlichen Druck, auf den die Regierungen reagieren müssen. Für manche ist PISA deshalb auch eine Form der Ausübung staatlicher Macht.

Für uns Wissenschaftler ergibt sich daraus eine forschungsethische Frage: Will ich zu etwas beitragen, was eindeutig Instrument bildungspolitischer Interessenskämpfe ist? Die OECD verbindet immer eine politische Agenda mit PISA. Und auch viele andere Akteure berufen sich bei Forderungen auf die Studie, beispielsweise wenn es darum geht, welche Schulformen existieren oder wie Lehrer ausgebildet werden sollen. Manche Forderungen, die mit PISA begründet werden, mag ich sinnvoll finden – andere erscheinen mir durchaus fragwürdig.
Ich empfinde es deshalb als unsere Pflicht, uns in die Debatte einzumischen und auch einmal öffentlich dem zu widersprechen, was andere über PISA sagen. Egal, ob das nun von der OECD, aus wissenschaftlichen Publikationen oder aus der Zeitung kommt. Zum Glück sind die PISA-Daten frei zugänglich. Jeder kann überprüfen, was in den nationalen und internationalen Berichten steht.

Ein PISA-Durchgang zieht sich über fünf Jahre hin. Hunderte Menschen entwickeln die Messinstrumente, ziehen die Stichprobe, führen die Tests durch und werten die gesammelten Daten aus. In Deutschland leiten die TU München, das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik und das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) PISA. Am DIPF haben wir uns auf die Fragebögen spezialisiert, die wir international federführend konzipieren und entwickeln.
Wenn der PISA-Bericht erscheint, bricht die Öffentlichkeit über uns herein. Pressekonferenzen, Blitzlichtgewitter, Mikrofone – auch wenn der Ansturm mit den Jahren etwas nachgelassen hat. Es ist nervenaufreibend, eine Stunde lang in einer Livesendung des Deutschlandfunks mit PISA-Kritikern zu diskutieren. Hinzu kommt, dass die Medien PISA mitunter falsch oder gar aggressiv interpretieren.

Aber zunächst mal ist der Trubel eine gewaltige Chance: Wann hat man als Wissenschaftler schon so viel Aufmerksamkeit für sein Thema? Man muss sich allerdings immer klar über die eigene Rolle sein, wenn man mit der Bundesbildungsministerin, Interessenvertretern und Journalisten in Talkshows sitzt. Ich bin weder Politiker, noch Vertreter eines Verbandes. Als Wissenschaftler soll ich Fakten und Befunde auf den Tisch legen – keine Forderungen.“

Lesetipp: Das komplette Leibniz-Journal mit dem Interview und dem Titel „Die Gretchen-Frage – Wie halten wir’s mit der Bildung?“ ist hier online und als PDF verfügbar.

Klieme_Porträt

Professor Dr. Eckhard Klieme ist Direktor der Abteilung Bildungsqualität und Evaluation am DIPF. Zu den Aufgaben der Abteilung gehört derzeit die Konzipierung, Entwicklung und Auswertung aller bei PISA 2015 einzusetzenden Fragebögen und die Entwicklung von Indikatoren für das weltweite Bildungsmonitoring im Rahmen von PISA 2015.

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