Wissenstransfer ins Weiße Haus

Was hat sich seit dem PISA-Schock vor mehr als zehn Jahren im deutschen Bildungssystem getan? Eine Delegation amerikanischer Bildungsfachleute aus Stiftungen, Politik und Verwaltung suchte Anfang Mai wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse auf diese Frage. Die Suche führte die knapp 40 Gäste nach Berlin und Hamburg. Professor Dr. Eckhard Klieme und Dr. Juliane Grünkorn von der Abteilung Bildungsqualität und Evaluation des DIPF hatten für die Delegation eine passende Studienreise konzipiert. Sie vermittelten Schulbesuche, Fachgespräche sowie Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern der Kultusministerkonferenz.

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„Ich habe selten so eine diskussionsfreudige Atmosphäre erlebt“, bilanziert Juliane Grünkorn.

„Ich habe selten eine so diskussionsfreudige Atmosphäre erlebt – egal ob in den Sitzungen, den Kaffeepausen oder abends in der Hotelbar: Jede Minute wurde genutzt, um Fragen zu stellen und sich mit dem deutschen Bildungssystem auseinander zu setzen“, zieht Grünkorn, die den amerikanischen Vertreterinnen und Vertretern die meiste Zeit ihres Aufenthalts für Fragen zur Verfügung stand, Bilanz. Besonders die deutsche Lehrerausbildung und die damit verbundene zweite Ausbildungsphase (Referendariat) empfand die Delegation als vorbildlich: Ein Äquivalent zu der Ausbildung nach dem Studium gibt es in den Vereinigten Staaten nicht.

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Referentinnen und Referenten aus Gewerkschaften, politischer Administration und Wissenschaft nahmen an der viertägigen Veranstaltung teil.

Ein ständiges Diskussionsthema war der Umgang mit Tests und anderen Daten. „Die Gäste fragten zum Beispiel bei den Schulbesuchen nach diagnostizierten Lernproblemen und den Werdegängen der Schülerinnen und Schüler nach ihrem Schulabschluss. Für die Delegation war es merkwürdig, dass diese Fragen nicht konkret beantwortet werden konnten, weil Daten fehlten. Ebenfalls merkwürdig war für sie, dass Tests wie PISA, Vergleichsarbeiten und so weiter für die Schulen keine Konsequenzen haben.“ Anders als hierzulande seien in den Vereinigten Staaten High-Stake-Testvarianten in der Evaluation von Bildungseinrichtungen üblich. Bedeutet: Die Testergebnisse haben Konsequenzen. „Undenkbar, dass in Deutschland eine Schule geschlossen wird, weil sie bei einer Testung schlecht abschneidet – in den USA wäre dies aber möglich“, erklärt Grünkorn.

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Vortrag von Sylvia Löhrmann, Bildungsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen.

Auch wenn die Veranstalter Deutschland als spannendes Vergleichsland aufgrund der guten PISA-Ergebnisse und der Parallelen in der föderalen Staatsordnung gewählt hatten, blieb für die meisten Gäste die vielgesichtige deutsche Schullandschaft mit ihren unterschiedlichen Schulwegen und konkurrierenden Schulformen ein Kuriosum. Da sie es aus den USA gewohnt sind, dass eine Bundesregierung mit finanziellen Zuschüssen, Reformprogrammen, Standards und Tests in den Schulalltag eingreift, überraschte diese völlige Abstinenz der Bundespolitik im hiesigen Schulbereich. „Das sind historisch gewachsene Strukturen, die wir in Deutschland regelmäßig als Gegebenheit erfahren. Durch den Blick von außen wird man bewusst darauf aufmerksam. Auch daran zeigt sich, wie wichtig der Austausch für unsere Arbeit ist und warum Wissenstransfer für beide Seiten fruchtbar sein kann“, so Grünkorn.

gruenkorn_julianeJuliane Grünkorn ist Referentin der Abteilung Bildungsqualität und Evaluation am DIPF. Seit September 2012 ist sie außerdem Projektkoordinatorin des DFG-Schwerpunktprogramms „Kompetenzmodelle“ und hat über „Modellkompetenz im Biologieunterricht“ promoviert.

Weitreichende Informationen über das Bildungssystem der USA haben unsere Kolleginnen und Kollegen von „Bildung weltweit“ des Deutschen Bildungsservers zusammengestellt. 

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