„OER immun gegenüber Einfluss durch Unternehmen“

Ein Gespräch mit Axel Kühnlenz und Ingo Blees vom Informationszentrum Bildung (IZB) des DIPF, an dem neben zentralen Forschungs- und Informationsinfrastrukturen auch der Deutsche Bildungsserver koordiniert wird: Sie berichten vom Einfluss von Unternehmen auf Unterrichtsmaterialien und die Qualitätsstandards der einzelnen Portale des Bildungsservers . Und sie machen deutlich, was sich durch freie Bildungsmaterialien (Open Educational Resources = OER) ändern könnte.

Der Deutsche Bildungsserver verfügt über unterschiedliche Portale, einen Newsletter und Dossiers zu aktuellen Themen. Nach welchen Kriterien entscheidet Ihr, welche Links und Hinweise aufgenommen werden, beziehungsweise stehen bleiben können?

Ingo Blees: Sämtliche Einträge sind bei uns händisch und intellektuell geprüft, das heißt, wir beschäftigen dafür qualifizierte, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Derzeit sind es im engeren Sinne acht Bildungsserver-Redakteurinnen und -Redakteure an der Koordinierungsstelle hier am IZB des DIPF, die laufend Einträge ergänzen und aktualisieren oder Veraltetes löschen. Wir sind dabei, gemeinsam mit den Landesbildungsservern gemeinsame, abgestimmte Leitfäden als Entscheidungshilfe zu erstellen. Dafür werden bisherige Kriterien vereinheitlicht und ergänzt. Ein paar Beispiele, um was es sich dabei etwa im Fall von Unterrichtsmaterialien handelt: Zunächst spielt die Quelle eine Rolle. Das heißt, dass der Autor der Materialien klar erkennbar ist; aber auch, dass es eine Kontaktmöglichkeit und ein Impressum gibt. Außerdem sollten die Materialien relevant sein. Die Relevanz kann sich unter anderem daran bemessen, ob ein Beitrag neue Impulse für den Unterricht gibt und aktuelle Informationen beinhaltet, die noch in keinem Lehrbuch stehen. Eine Herausforderung ist die Bewertung der inhaltlichen Qualität. Die Aussagen des Materials müssen selbstverständlich korrekt sein …

Axel Kühnlenz: … dafür holen wir gelegentlich auch externe Expertise ein. Wir fragen bei anderen wissenschaftlichen Instituten nach oder ziehen einzelne Expertinnen und Experten zu Rate, um besonders schwierige Fälle gut und sicher einordnen zu können. Das können Experten sein, die sich zur Methodik äußern oder zur inhaltlichen Qualität.

Ingo Blees: Wichtig ist auch, dass nach Möglichkeit seriöse Gegenpositionen und widersprechende Theorien dargestellt werden, wenn eine Kontroverse vorliegt – und dass Information und Meinung klar getrennt und Meinungen als solche erkennbar sind. Hinzu kommt, dass die Materialien leicht zugänglich sein müssen und allen rechtlichen Voraussetzungen genügen müssen. Neben dem Urheberrecht achten wir auch auf Persönlichkeitsrechte, den Daten- und Jugendschutz und selbstverständlich darauf, dass es keine Verstöße gegen das Strafrecht gibt.

Welche könnten das sein?

Kühnlenz_PorträtAxel Kühnlenz: Nicht akzeptanzfähig sind natürlich zunächst zum Beispiel rassistische, sexistische oder Gewalt verherrlichende Inhalte. In manchen Fällen sind entsprechende Aussagen nicht auf den ersten Blick erkennbar, so dass unsere Redakteurinnen und Redakteure im Einzelfall genauer prüfen müssen, ob bestimmte Inhalte noch durch die Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit abgedeckt werden. Wie schwierig das sein kann, haben wir alle in der Diskussion über Kinderliteratur gesehen: Streicht man rassistische Begriffe aus einem Klassiker wie Pippi oder versteht man historische Authentizität als den höheren Wert?

Auch von Unternehmen gestellte kostenlose Unterrichtsmaterialien oder von Unternehmen organisierte Bildungsprojekte gibt es – der Umgang mit diesen werblichen Materialien birgt Probleme, da die Urheber natürlich eine eigene Agenda verfolgen. Zuletzt war die Einflussnahme von Unternehmen und Lobbyisten in ,Der Spiegel‘ und in ,die taz‘ ein Thema. Wie geht Ihr mit werblichem Material um?

Axel Kühnlenz: Auch dem wird selbstverständlich in den Leitfäden und in der derzeitigen Praxis Rechnung getragen. Dabei muss man unterscheiden: Sind die Beiträge kommerziell oder werblich? Werblich bedeutet, dass eine manchmal auch subtile Botschaft im Sinne des Urhebers oder einer anderen Partei vorliegt. Rein werbliches Material nehmen wir in keinem Fall auf. Bei kommerziellem Material ist es wiederum eine Einzelfallentscheidung.

Gerade in der Erwachsenenbildung agieren fast ausschließlich kommerzielle Anbieter von Unterrichtsmaterialien und Weiterbildung auf dem Markt, so dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier im Einzelfall entscheiden müssen und dies auch dokumentieren und kommentieren. In solchen Einzelfällen spielt die pädagogische Qualität die entscheidende Rolle. Urheber und Intention machen wir dann explizit. Wir haben das sehr kleinschrittig operationalisiert.

Ihr engagiert Euch schon lange im Bereich Open Educational Resources (OER). Was verändert sich durch das Auftauchen von OER in Eurer Arbeit?

oer_logo_EN_2_RGBAxel Kühnlenz: Für das Verständnis ist zunächst ganz wichtig: OER sind anders als anderes kostenloses Unterrichtsmaterial veränderbar, kommentier – und kontextualisierbar, was den kritischen Umgang mit solchem Material vereinfacht. OER dürfen im Unterschied zu anderen Unterrichtsmaterialien, die urheberrechtlich geschützt sind, auch in veränderter Form weitergegeben werden. Deshalb sind OER erst einmal nicht attraktiv für Unternehmen, die Unterrichtsmaterialien zu Werbungszwecken erstellen: Denn die Veränderung und Kontextualisierbarkeit ist nicht im Interesse von werbetreibenden Firmen – das wäre kontraindizierend. Aus diesem Grunde halten wir OER für relativ immun gegenüber Einflussnahme durch Unternehmen. Das genuine Potenzial von OER besteht darin, dass Materialien pädagogisch gebrochen werden können.

Ingo BleesIngo Blees: Ein zwar konstruiertes, aber praxisnahes Beispiel: Eine Lehrkraft könnte Unterrichtsmaterial, das kostenlos von der Zucker-Industrie herausgegeben wird, mit Unterlagen zur Diabetes-Aufklärung zu einem integralen Arbeitsblatt zusammenfügen und auf dem Schulserver den Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung stellen, die die Materialien dann kollaborativ weiterentwickeln. Natürlich passiert das in Ansätzen genau so, Woche für Woche. Rein rechtlich darf es das aber nicht, da durch die Veränderung und Bereitstellung gegen das Urheberrecht verstoßen wird.

Die Qualitätssicherung von OER erfolgt auf mehr Ebenen als die von klassischen Bildungsmaterialien, daher sind unseres Erachtens gerade OER widerständiger gegenüber Lobbyarbeit. Vorher sollte noch erwähnt werden, dass formale Zulassungsverfahren nur für komplette Lehrwerke vorgeschrieben sind. Bei Einzelmaterialien muss sich der Nutzer bisher allein auf die Qualitätssicherung des Produzenten verlassen. Im Digitalen und besonders bei OER kommen als weitere Prüfsteine aber noch Fachredaktionen zum Beispiel bei den Bildungsservern von Bund und Ländern hinzu und auch die Bewertungen und Kommentare aus der Community, das heißt von den Experten aus der Praxis zur Unterrichtstauglichkeit von Materialien.

In dem gemeinsamen Ressourcen-Pool ELIXIER der Landesbildungsserver und des Deutschen Bildungsservers kann man deshalb gezielt nach OER suchen, die nach unseren Qualitätskriterien bewertet wurden. Insgesamt können dort über die Schulfächer verteilt über 5.000 OER gefunden werden. Der gesamte Materialfundes umfasst über 50.000 kostenfrei nutzbare digitale Bildungsmedien, die nach bestimmten Lizenzen, insbesondere gemäß dem Creative-Commons-(cc)-Standard, gefiltert werden können; und die Pläne in mehreren Ländern gehen dahin, den OER-Anteil in ihren Beständen teilweise deutlich zu erhöhen.

2 Kommentare zu „„OER immun gegenüber Einfluss durch Unternehmen“

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..