Ein weiterer Teil unserer Blog-Serie über die Ergebnisse des aktuellen nationalen Bildungsberichtes steht nun online zur Verfügung. Wie ist es um die Erwerbssituation in Familien mit Kindern bestellt? Das skizzieren Professorin Dr. Ulrike Rockmann von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin sowie Dr. Holger Leerhoff und Thomas Lehmann vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. und gehen dabei unter anderem auf den Stand des männlichen Alleinverdienermodells ein.
Von Ulrike Rockmann, Holger Leerhoff und Thomas Lehmann
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Tradierte Rollenverhältnisse wurden hinterfragt, die Möglichkeiten und Notwendigkeiten zur Erwerbstätigkeit neu bewertet. So eröffneten sich im Zuge der zunehmenden Gleichberechtigung und Akzeptanz der frühkindlichen Bildung sowie der erweiterten Angebote vor der Einschulung und später in der Schule Möglichkeiten für die Erwerbstätigkeit beider Elternteile – wenn auch mit deutlichen regionalen Unterschieden. Gleichzeitig ergab sich vielfach aus ökonomischen Zwängen die Notwendigkeit, dass beide Partner Geld verdienen, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Im Folgenden soll die aktuelle Situation betrachtet werden.
Die Datengrundlage für die hier vorgestellten Analysen ist der Mikrozensus. Für einen Haushalt stehen dort unter anderem Informationen über die Anzahl und das Alter der Erwachsenen und der Kinder, den Migrationsstatus, den Bildungsstand und die Erwerbstätigkeit zur Verfügung (Es wird zwischen der Erwerbslosigkeit, Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung – hier: bis zu 32 Stunden durchschnittliche Wochenarbeitszeit – unterschieden). Beziehen Eltern Elterngeld, so gelten sie formal als erwerbstätig und können bei dieser Art der Analyse nicht herausgerechnet werden. Der Beitrag nimmt die Erwerbssituation in Familien mit Kindern unter 18 Jahren und zwei nicht gleichgeschlechtlichen Erwachsenen im Haushalt in den Blick – unabhängig davon, ob sie als Lebensgemeinschaft oder verheiratet zusammenleben.
Insbesondere in Westdeutschland war über Jahrzehnte die Betreuung der Nichtschulkinder durch die Familie die Regel. Diese Situation hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten grundlegend verändert. 1991 waren es 73 % der Kinder von 3 bis unter 6 Jahren, die die Angebote der frühkindlichen Bildung und Betreuung nutzten. Inzwischen sind es rund 95 %, womit grundsätzlich beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Im Fokus dieser Analysen stehen Familien, in denen das jüngste Kind unter 6 Jahren ist. Von noch größerem Interesse wäre allerdings die gesonderte Betrachtung von Familien mit Kindern unter 3 Jahren, da für diese Altersgruppe die durchschnittliche Beteiligung an der Kindertagesbetreuung bei 33 % liegt. Diese wie auch andere Auswertungen sind jedoch aufgrund des Stichprobenumfangs des Mikrozensus (1 % der Bevölkerung) nur eingeschränkt oder gar nicht möglich.
Bildungsstand in Paarfamilien
Die Chance, eine Arbeit zu finden, hängt unter anderem vom erreichten Bildungsstand ab. Pauschal lässt sich sagen: Je höher der Bildungsstand ist, desto geringer ist das Risiko, ungewollt erwerbslos zu sein. Die International Standard Classification of Education (ISCED) teilt den Bildungsstand auf Grundlage des höchsten erreichten formalen Bildungsabschlusses in neun Stufen ein. Für Analysezwecke sind sie hier zu drei Kategorien zusammengefasst:
• niedrig, wenn ein Hauptschul- oder mittlerer Schulabschluss vorliegt und weder eine allgemeine Hochschulreife noch eine abgeschlossene Berufsausbildung erreicht wurde (maximal ISCED 2),
• mittel, wenn ein allgemeinbildender Schulabschluss in Verbindung mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung vorliegt (zum Beispiel handwerkliche Ausbildungen zur Gesellin / zum Gesellen oder Gesundheitsberufe, etwa in der Physiotherapie (ISCED 3 bis 4) und
• hoch, wenn einer der Hochschulabschlüsse Bachelor oder Master oder eine berufliche Qualifikation entsprechend einer Meister- oder Technikerausbildung vorliegt (mindestens ISCED 5).
Betrachtet man die Partnerschaften auf Grundlage dieser Einteilung, zeigt sich, dass in allen Familien (und in solchen mit dem jüngsten Kind unter 6 Jahren) beide Partner durchschnittlich zu zwei Drittel einen vergleichbaren Bildungsstand haben, in Ostdeutschland zu 69 %, in Westdeutschland zu 63 % (siehe Abbildung 1).
Die Situation, dass beide Partner einen niedrigen formalen Bildungsstand haben, trifft auf 7 % der Familien zu – mit einem deutlichen Unterschied zwischen Ostdeutschland mit 4 % und Westdeutschland mit 8 %. Von dieser Situation sind insgesamt 9 % aller Kinder betroffen. Vor allem Familien mit Migrationshintergrund haben einen niedrigen Bildungsstand (22 %), deutlich seltener Familien ohne Migrationshintergrund (2%).
Erwerbslosigkeit in Paarfamilien
In Familien mit Kindern unter 18 Jahren sind aktuell in rund 4 % der Fälle weder der Mann noch die Frau erwerbstätig – man spricht hier von einer sozialen Risikolage. Das entspricht einem Rückgang um 2 Prozentpunkte seit 2006. In Familien mit Kindern unter 6 Jahren liegt der Anteil mit knapp 6 % etwas höher. Bei 3 oder mehr Kindern sind 8 % der Familien erwerbslos. In Familien mit Migrationshintergrund liegt der Anteil bei 9 %, sind 3 und mehr Kinder im Haushalt, sind es 15%.
Haben beide Partner niedrige formale Bildungsabschlüsse, sind in mehr als einem Fünftel (22 %) der Familien beide erwerbslos. Hat ein Elternteil einen niedrigen Bildungsstand und der andere einen mittleren oder hohen, dann liegt der Anteil der erwerbslosen Familien unter 10 %. Die geringste Erwerbslosigkeit mit 2 % ist in Familien anzutreffen, wenn beide Elternteile mindestens einen mittleren Bildungsstand aufweisen.
Das Alleinverdiener-Modell
Der männliche Alleinverdiener – die Konstellation aus der Vollzeiterwerbstätigkeit des Mannes und der Erwerbslosigkeit der Frau – dominierte die familiäre Erwerbssituation in Westdeutschland über Jahrzehnte. Aktuell ist diese Konstellation in Deutschland insgesamt in 22 % der Familien anzutreffen, das sind 4 Prozentpunkte weniger als 2006. Bei Familien mit Kindern unter 6 Jahren tritt sie mit 30 % häufiger auf, ebenso bei Familien mit Migrationshintergrund (31 %). Demgegenüber spielt die Konstellation der alleinverdienenden Frau mit 2 % in Ost- und 1 % in Westdeutschland keine wesentliche Rolle.
„Das männliche Alleinverdienermodell ist aktuell in Deutschland insgesamt in 22 % der Familien anzutreffen, das sind 4 Prozentpunkte weniger als 2006.“
Differenziert nach Ost- und Westdeutschland treten nach wie vor deutliche Unterschiede hervor. So sind die Männer in Familien in Ostdeutschland mit 14 % seltener die Alleinverdiener als in Westdeutschland mit 24 %. Ein Teil des Ost-West-Unterschieds ergibt sich aus der regionalen Verteilung von Familien mit Migrationshintergrund, die bis auf Berlin überwiegend in Westdeutschland leben, denn in fast einem Drittel der Familien mit Migrationshintergrund (31 %) ist der Mann der alleinige Verdiener. Für Familien ohne Migrationshintergrund liegt der Anteil bei 19 % und damit dennoch mit 5 Prozentpunkten über dem Anteil in Ostdeutschland.
Das Erwerbsmodell des männlichen Alleinverdieners ist in Familien mit einem höheren Qualifikationsniveau der Frau seltener anzutreffen (36 % bei niedrigem, 21 % bei mittlerem und 17 % bei hohem Bildungsstand).
Die doppelte Vollzeiterwerbstätigkeit
Ost- und Westdeutschland differieren auch deutlich hinsichtlich der Vollzeittätigkeit beider Elternteile: In Ostdeutschland trifft dies auf deutlich mehr als ein Drittel (37 %) der Familien zu, in Westdeutschland auf ein Sechstel (15%). Der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 19 %. Ist das jüngste Kind unter 6 Jahren, liegt eine nahezu vergleichbare Situation mit 18 % vor. Das Doppelvollzeitmodell ist bei Familien mit Migrationshintergrund mit 13 % deutlich seltener als bei den übrigen Familien (21 %) anzutreffen.
„In Ostdeutschland sind in 37 % der Familien beide Elternteile in Vollzeit erwerbstätig. In Westdeutschland trifft dies auf 15 Prozent der Familien zu.“
Bei Familien mit einem niedrigen Bildungsstand liegt die doppelte Vollzeiterwerbstätigkeit selten vor (8 %). Bei mittlerem Bildungsstand sind es 20 %, bei hohem Bildungsstand 25 %. Mit der Anzahl der Kinder reduziert sich die Vollzeittätigkeit der Frau (siehe Abbildung 2). In Familien mit einem hohen Bildungsstand ist die Frau bei drei oder mehr Kindern jedoch ähnlich häufig in Vollzeit erwerbstätig wie die Frauen in Familien mit mittlerem Bildungsstand bei zwei Kindern und in solchen mit niedrigem Bildungsstand bei einem Kind.
Die Kombination aus Vollzeit- und Teilzeiterwerbstätigkeit
In 47 % aller Familien ist der Mann in Vollzeit- und die Frau in Teilzeit erwerbstätig. Der umgekehrte Fall tritt, ähnlich dem weiblichen Alleinverdienermodell, mit 1 % kaum auf. Ist das jüngste Kind unter 6 Jahren, liegt der Durchschnittswert mit 38 % deutlich niedriger und die Erwerbslosigkeit der Frau um 8 % höher.
Hat die Familie zwei Kinder, so ist bei einem mittleren und hohen Bildungsstand eine Verschiebung von der Vollzeittätigkeit der Frau hin zur Teilzeittätigkeit festzustellen. Die Erwerbslosigkeit erhöht sich dabei so gut wie nicht – insbesondere bei einem hohen Bildungsstand. Bei 3 oder mehr Kindern liegt für alle drei Kategorien dagegen ein deutlicher Anstieg der Erwerbslosigkeit vor, der umso größer ausfällt, je geringer der Bildungsstand ist (siehe Abbildung 2).
In Familien mit Migrationshintergrund ist in einem Drittel der Fälle (34 %) der Mann in Vollzeit- und die Frau in Teilzeit beschäftigt. Inklusive der 13 % der Familien, in denen beide Eltern in Vollzeit arbeiten, entscheiden sich also insgesamt 47 % für eine Erwerbstätigkeit beider Partner, während es bei Familien ohne Migrationshintergrund 73 % sind.
Die Ost-West-Unterschiede bei der Vollzeittätigkeit beider Partner finden hier ihre Entsprechung: Während in Westdeutschland in 50 % der Familien der Mann in Vollzeit- und die Frau in Teilzeit erwerbstätig ist, sind es in Ostdeutschland 34 %.
Fazit
Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich das „männliche Alleinverdienermodell“ bei nicht gleichgeschlechtlichen Paarfamilien weiter auf dem Rückzug befindet und aktuell in 22 % der Familien zu finden ist. Inzwischen sind fast ebenso häufig beide Partner in Vollzeit erwerbstätig. In fast der Hälfte der Familien ist der Mann in Vollzeit und die Frau in Teilzeit beschäftigt. Die Art und die Aufteilung der Erwerbstätigkeit unterscheidet sich nach Bildungsstand und Kinderanzahl der Familie.
Familien mit Migrationshintergrund sind häufiger erwerbslos. Zudem sind seltener beide Partner erwerbstätig und der Mann ist häufiger der alleinige Verdiener. In Ostdeutschland ist die Erwerbstätigkeit höher und der männliche Alleinverdiener kommt – wohl auch historisch bedingt – deutlich seltener vor als in Westdeutschland.
Das Autorenteam
Prof. Dr. Ulrike Rockmann ist Universitätsprofessorin bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin. Sie ist für die Statistischen Ämter der Länder Mitglied der Autorengruppe Bildungsberichterstattung. Schwerpunkte ihrer Forschung sind unter anderem das Bildungsmonitoring und die Gestaltung von digitalen Lehr- und Lernmedien. Kontakt: ulrike.rockmann@uni-oldenburg.de
Dr. Holger Leerhoff ist Leiter des Referats „Bildung, Bildungsanalysen, Gesundheitswesen“ im Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenschaftstheorie, Skeptizismus und Bildungssoziologie Kontakt: holger.leerhoff@statistik-bbb.de
Thomas Lehmann, M. A. in Politikwissenschaft, Öffentlichem Recht und Kommunikationswissenschaft, ist Referent für Bildungsanalysen im Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Bildungsberichterstattung, das kommunale Bildungsmonitoring und die Schulstatistik. Kontakt: thomas.lehmann@statistik-bbb.de
In unserer Blog-Serie über den Bildungsbericht beleuchten Mitglieder der für den Bericht verantwortlichen Autorengruppe gemeinsam mit weiteren Fachleuten ausgewählte Ergebnisse in kurzen, prägnanten Essays. Bisherige Beiträge befassten sich mit der Entwicklung in den Kitas und mit der Hochschulbildung. Alle diese Beiträge können zudem in der Ausgabe Nr. 24 des Magazins „DIPF informiert“ nachgelesen werden.