In einem neuen Beitrag unserer Blog-Serie über die Ergebnisse des aktuellen nationalen Bildungsberichts liegt das Augenmerk auf dem Schwerpunktthema des Berichts: Bildung und Migration. Professor Dr. Kai Maaz und Dr. Daniela Jäger-Biela vom DIPF geben einen detaillierten Überblick, wo wir in diesem Bereich stehen. Sie zeigen, was sich bei der Bildungsbeteiligung und den Kompetenzen von Personen mit Migrationshintergrund in den letzten Jahren alles getan hat und wo es nach wie vor anzusetzen gilt.
Von Kai Maaz und Daniela Jäger-Biela
Das Verhältnis von Migration und Bildung ist für die Bundesrepublik seit je her von großer Bedeutung. Noch bevor es zu den aktuellen Wanderungsbewegungen kam, hatte 2013 bereits ein Fünftel der Bevölkerung hierzulande einen Migrationshintergrund (siehe *Stichwort Migrationshintergrund). Und bezogen auf die besonders bildungsrelevanten Altersgruppen liegt bundesweit der Anteil der unter 10-Jährigen mit 35 Prozent und der 10- bis unter 20-Jährigen mit zirka 30 Prozent noch einmal deutlich höher. Das Schwerpunktkapitel des aktuellen Bildungsberichts setzt sich intensiv mit dieser Thematik auseinander und nimmt dabei folgende zentrale Fragen in den Blick: Wie ist Integration im letzten Jahrzehnt in den Bildungsbereichen verlaufen, welche Herausforderungen bleiben und welche Ergebnisse, die Disparitäten erklären könnten, liegen bisher vor? Der folgende Beitrag gibt hierzu einen Überblick.
Mehr Bildungsbeteiligung von jungen Kindern und Erwachsenen mit Migrationshintergrund bei fortbestehenden Disparitäten
In den vergangenen zehn Jahren ließ sich in allen Bildungsbereichen eine positive Entwicklung in Bezug auf Beteiligung, Kompetenzen und Zertifikate von Personen mit Migrationshintergrund beobachten. Allerdings ist nicht klar, was die Gründe hierfür sind – ob sich etwa Programme und Initiativen als erfolgreich erwiesen haben oder aber die Population verändert hat. Zudem sind die Disparitäten zu den Personen ohne Migrationshintergrund relativ stabil geblieben, da auch diese höhere Bildungserfolge erzielen als noch vor zehn Jahren. Beim Übergang in die berufliche Ausbildung wird besonders deutlich, wie sich herkunftsbezogene Disparitäten über den Bildungsverlauf kumulieren können: Trotz eines verbesserten Zugangs zu einer vollqualifizierenden Ausbildung haben ausländische Jugendliche weiterhin ein viel größeres Risiko, in das Übergangssystem einzumünden; etwa jeder zweite ist davon betroffen (aufgrund der Datenlage kann hier nur zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen unterschieden werden, siehe *Stichwort Migrationshintergrund). Dies sind zu großen Teilen Jugendliche, die entweder über keinen oder lediglich den Hauptschulabschluss verfügen. Disparitäten werden somit beim Übergang in die Ausbildung durch Unterschiede im Schulbereich entscheidend vorgezeichnet. Hinsichtlich der erreichten Abschlüsse sind die ausländischen Jugendlichen trotz eines positiven Trends weiterhin durchgängig im Nachteil. Sie verlassen die Schule mehr als doppelt so häufig ohne Hauptschulabschluss und erreichen drei Mal seltener die allgemeine Hochschulreife.
„Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund sind oft in substanzieller Weise mit der sozialen Herkunft verknüpft.“
Für die Interpretation migrationsspezifischer Disparitäten ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund oft in substanzieller Weise mit der sozialen Herkunft verknüpft sind. Besonders markant lässt sich das anhand von Entwicklungen im Schulbereich beschreiben. Dort sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund an niedriger qualifizierenden Schularten deutlich überrepräsentiert. Anders stellt sich die Situation jedoch dar, wenn man den sozioökonomischen Hintergrund berücksichtigt. Denn unter dieser Prämisse besuchten 15-Jährige mit und ohne Migrationshintergrund 2012 zu vergleichbaren Anteilen die jeweiligen Bildungsgänge, was bedeutet, dass sich die Situation seit der ersten PISA-Studie aus dem Jahr 2000 verbessert hat. Allerdings verweist dies auch auf den deutlichen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg für Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund.
In Abbildung 1 ist klar ersichtlich, dass es in der Verteilung der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler auf die verschiedenen Bildungsgänge deutliche Unterschiede nach Migrationshintergrund gibt. Betrachtet man den sozioökonomischen Status der Familie, zeigt sich zunächst, dass sich die Populationen hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung deutlich unterscheiden. Die Hälfte der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund kommt aus Familien mit niedrigem und 10 Prozent aus Familien mit hohem sozioökonomischem Status. Bei den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund kommen 27 Prozent aus Familien mit hohem und 20 Prozent aus Familien mit eher niedrigem Status. Wird dieser soziale Hintergrund berücksichtigt, gleicht sich die Beteiligung an den verschiedenen Bildungsgängen merklich an.
Kompetenzen von Lernenden mit Migrationshintergrund
Sowohl im Grundschul- als auch im Sekundarbereich haben sich die Kompetenzen der Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund verbessert. Die gleichwohl weiterhin bestehenden Rückstände gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern ohne Migrationshintergrund stehen in einem engeren Zusammenhang mit sozioökonomischen Faktoren, aber auch mit der Familiensprache und dem Geburtsland der Eltern. Vor allem die im Sekundarbereich zu beobachtenden Kompetenzzuwächse seit der ersten PISA-Studie sind auf verbesserte Leistungen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus Familien mit niedrigem (und mittlerem) sozioökonomischen Status zurückzuführen. Unterschiede in den Kompetenzen, wie sie in der Schule zu Tage treten, entstehen zu großen Teilen bereits im Vorschulbereich. Auch hier sind die Kompetenzen – zum Beispiel im Sprachgebrauch – mit der sozialen Herkunft konfundiert.
„Sowohl im Grundschul- als auch im Sekundarbereich haben sich die Kompetenzen der Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in den vergangenen zehn Jahren verbessert.“
Wenige Erkenntnisse liegen bislang zu den Kompetenzen im Erwachsenenalter und zum Einfluss der Weiterbildung auf den Kompetenzstand in dieser Lebensphase vor. Im Rahmen der staatenübergreifend vergleichenden Studie PIAAC (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) wurden 2012 drei Kompetenzdimensionen im Erwachsenenalter getestet (Lesekompetenz, alltagsmathematische Kompetenz und technologiebasierte Problemlösekompetenz). Bei allen drei gemessenen Dimensionen zeigt sich eine bedeutsame Differenz zwischen den Kompetenzständen von Personen ohne und von denen mit Migrationshintergrund, wobei sich die regionalen Herkunftsgruppen zum Teil stark unterscheiden. Bei der Teilnahme an Weiterbildung fällt die Differenz zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund in allen Bereichen merklich geringer aus. Gegenüber Personen ohne Migrationshintergrund sind Zugewanderte trotzdem weiterhin (vor allem in der ersten Generation) beträchtlich im Nachteil. Nach Herkunftsregionen betrachtet, erhöht sich im Fall der Weiterbildungsteilnahme zwar bei sämtlichen Herkunftsgruppen das Kompetenzniveau in allen drei Dimensionen, ohne dass aber damit die Differenzen zwischen ihnen aufgelöst würden.
Trotz dieser differenziellen Effekte deuten die Befunde darauf hin, dass sich durch die Teilnahme an Weiterbildung die kulturellen Grundkompetenzen verbessern können. Dieser Zusammenhang ist auf allen Bildungsstufen für Personen mit und ohne Migrationshintergrund festzustellen, wenn auch deutlich nach Schulabschlussniveau gestaffelt. Auch wenn mit dem vorliegenden Studiendesign nicht untersucht werden kann, ob es bei der Nachfrage nach Weiterbildung bereits zu leistungsbezogenen Selektionseffekten kommt, unterstreichen die Befunde, wie wichtig Weiterbildung ist, damit auch noch Erwachsene im berufsfähigen Alter die genannten Basiskompetenzen verbessern können.
Familiensprache und Segregation bei 4- und 5-Jährigen
Für die Integration in das Bildungssystem und die gesellschaftliche Teilhabe kommt es ohne Zweifel darauf an, die deutsche Sprache zu beherrschen. Dementsprechend ist die Frage, welche Sprache bei Menschen mit Migrationshintergrund in der Familie gesprochen wird, von hoher Bedeutung. Die Antwort dient als Richtschnur für die Rolle des Bildungssystems bei der Sprachbildung dieser Bevölkerungsgruppe – und für dessen Erfolg bei ungleichen Ausgangslagen.
Für den aktuellen Bildungsbericht ist die regionale Verteilung der zu Hause gesprochenen Familiensprache erstmals exemplarisch für die Gruppe der 4- und 5-Jährigen analysiert worden. Dabei zeigte sich, dass von den Kindern mit Migrationshintergrund, die eine Kindertageseinrichtung besuchen – das sind mindestens 90 Prozent der Altersgruppe –, 63 Prozent zu Hause überwiegend eine andere Sprache als Deutsch sprechen. Diese Größenordnungen stellen sich in den Bundesländern und auf der Ebene der Jugendamtsbezirke sehr unterschiedlich dar (siehe Abbildung 2). Während in Berlin und beispielsweise in verstädterten Regionen in Hessen und Nordrhein-Westfalen mehr als 75 Prozent der 4- und 5-Jährigen mit Migrationshintergrund in der Regel zu Hause kein Deutsch sprechen, weisen vor allem ländliche Gebiete unterdurchschnittliche Anteile auf. Dennoch wird insgesamt erkennbar, dass von Anfang an in öffentlichen Bildungseinrichtungen ein hoher Bedarf besteht, Kinder beim Erwerb der deutschen Sprache zu fördern. Und in vielen Kommunen betrifft dies einen Großteil der Kinder mit Migrationshintergrund in den ersten Lebensjahren.
Frühere Bildungsberichte haben mehrfach dargelegt, dass sich sozialräumliche Segregationstendenzen auch in Kindertageseinrichtungen widerspiegeln, da Eltern häufig wohnortnahe Betreuungsangebote wählen. Über ein Drittel der Kinder mit nicht deutscher Familiensprache besucht Kindertageseinrichtungen, in denen die Mehrheit der Kinder zu Hause ebenfalls kaum oder wenig Deutsch spricht. Vor allem in Ballungszentren wie Berlin, Frankfurt am Main und München betrifft dies mehr als die Hälfte aller Kinder mit nicht deutscher Familiensprache. Ähnliche Segregationstendenzen sind im Schulwesen sichtbar. Allerdings stehen dort geringere Kompetenzen in einem engen Zusammenhang mit mehreren sozioökonomischen Risikolagen, die sich in den Klassen beziehungsweise an den Schulen verdichten – unabhängig vom Migrationsanteil.
„Über ein Drittel der Kinder mit nicht deutscher Familiensprache besucht Kitas, in denen die Mehrheit der Kinder zu Hause ebenfalls kaum oder wenig Deutsch spricht.“
Fazit
Der Bildungsbericht 2016 zeigt grundsätzlich positive Entwicklungen in Bezug auf die Integration von Personen mit Migrationshintergrund, ohne dass zum jetzigen Zeitpunkt bereits gesagt werden könnte, was hierfür die ausschlaggebenden Gründe sind. Zudem bestehen weiter Bildungsdisparitäten zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Die Analysen des Schwerpunktkapitels verdeutlichen weiterhin, dass Migration kein isoliertes und einheitliches Phänomen ist, sondern bei Bildungsprozessen vor allem die meist ungünstigere sozioökonomische Situation der Familien mit Migrationshintergrund berücksichtigt werden muss. Will man die migrationsspezifischen Disparitäten verringern, muss man daher immer auch den Abbau sozialer Ungleichheiten in den Blick nehmen.
Das Autorenteam
Prof. Dr. Kai Maaz ist Direktor der Abteilung Struktur und Steuerung des Bildungswesens des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Bildungssysteme und Gesellschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Schwerpunkte seiner Forschung sind unter anderem Bildungsübergänge, sozio-kulturelle Disparitäten des Bildungserfolgs und Bildungsreformen. Kontakt
Dr. Daniela Jäger-Biela ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Struktur und Steuerung des Bildungswesens des DIPF. Schwerpunkte ihrer Forschung sind „Educational Governance“ und Effekte von Bildungsreformen. Kontakt
In unserer Blog-Serie über den Bildungsbericht beleuchten Mitglieder der für den Bericht verantwortlichen Autorengruppe gemeinsam mit weiteren Fachleuten ausgewählte Ergebnisse in kurzen, prägnanten Essays. Bisherige Beiträge befassten sich mit der Entwicklung in den Kitas, mit der Hochschulbildung und mit der Erwerbsstruktur in Familien. Alle diese Beiträge können zudem in der Ausgabe Nr. 24 des Magazins DIPF informiert nachgelesen werden.
*Stichwort Migrationshintergrund: Zu den Personen mit Migrationshintergrund werden in der Regel jene gezählt, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland zugewandert sind – ungeachtet ihrer gegenwärtigen Staatsangehörigkeit. Darüber hinaus zählen in einigen Statistiken und Studien auch Personen mit zugewanderten Großeltern dazu. Als erste Generation mit Migrationshintergrund werden all jene bezeichnet, die selbst nach Deutschland gekommen sind. Bei der zweiten Generation sind die Eltern, bei der dritten die Großeltern zugwandert. Dabei kann noch danach unterschieden werden, wie viele Elternteile oder Großeltern zugewandert sind. Migrationshintergrund ist nicht zu verwechseln mit dem Status „Ausländerinnen und Ausländer“. Letzteres beschreibt Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Hierzlande lebende Personen mit Migrationshintergrund können Deutsche oder Ausländerinnen und Ausländer sein.