Bildung lohnt sich auf dem Arbeitsmarkt – aber nicht immer in gleicher Weise

Die Erträge von Bildung auf dem Arbeitsmarkt stehen im Mittelpunkt des letzten Beitrags unserer Blog-Serie über die Ergebnisse des nationalen Bildungsberichts. Professorin Dr. Susan Seeber von der Georg-August-Universität Göttingen und Professor Dr. Martin Baethge vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen erklären, welchen Einfluss der Bildungsstand auf Erwerbsbeteiligung,  Einkommen und berufliche Position hat. Zugleich legen sie dar, dass diese Erträge je nach sozialer Gruppe, Geschlecht, Region, beruflicher Fachrichtung und inhaltlicher Passung von Ausbildung und Beschäftigung unterschiedlich ausfallen können.

Von Susan Seeber und Martin Baethge

Der berufliche Nutzen von Bildung für jeden Einzelnen gehört zu den gut dokumentierten Befunden der Arbeitsmarktforschung und der Bildungsökonomie. Allgemeinbildende und berufliche Abschlüsse wirken sich vor allem im Berufsleben aus, zum Beispiel auf die Erwerbsbeteiligung, die berufliche Position und das Einkommen. Allerdings profitieren nicht alle gleichermaßen von erworbenen Zertifikaten. In Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, von Geschlecht, regionalem Kontext und beruflichen Fachrichtungen zeigen sich unterschiedliche Beschäftigungschancen und berufliche Perspektiven. Der folgende Beitrag geht zunächst auf die Erwerbsbeteiligung in Abhängigkeit vom Bildungsstand und von anderen sozialen Merkmalen ein. Dann greift er das weiterhin aktuelle Thema der Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen auf und betrachtet schließlich als inhaltlichen Ertragsaspekt die Ausbildungsadäquanz. Diese zeigt an, inwiefern Beschäftigte die in einer Ausbildung erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Beruf anwenden und für den Aufbau einer beruflichen Erwerbsbiografie nutzen können.

Bildungsstand und Erwerbsbeteiligung

Die Erwerbsbeteiligung wird über das international standardisierte Konzept der International Labour Organisation (ILO) erfasst. Demnach sind alle Personen erwerbstätig, die wenigstens eine Stunde pro Woche für Lohn oder ein sonstiges Entgelt einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. In den vergangenen Jahren war in Deutschland ein deutlicher Anstieg dieser Erwerbsbeteiligung der 25- bis unter 65-Jährigen zu beobachten. Zwar konnten die Erwerbstätigen über alle Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse hinweg von dieser Entwicklung profitieren, jedoch blieben die Unterschiede zwischen Personen mit einem beruflichen Abschluss (80 % erwerbstätig) und denjenigen ohne (58 %) weitgehend bestehen. Die Differenz von 22 Prozentpunkten macht deutlich, dass sich die Chancen am Arbeitsmarkt mit dem Vorliegen eines beruflichen Abschlusses deutlich verbessern. Und mit höheren Abschlüssen steigen sie noch einmal.

Allerdings sind diese Chancen nicht nur vom Bildungsabschluss, sondern auch von den regionalen wirtschaftlichen Bedingungen abhängig. So lassen sich deutliche Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung nach Ost und West sowie nach Bundesländern ausmachen, wobei es sich aber in allen Regionen abzeichnet, dass die Quote der Erwerbsbeteiligung mit höheren Bildungsabschlüssen zunimmt. Besonders schwierig ist die Erwerbssituation für an- und ungelernte Personen in Ostdeutschland. Auch für Personen mit einem Berufsausbildungsabschluss fallen die Differenzen gegenüber Westdeutschland noch ins Auge. Bei den Hochschulabschlüssen zeigen sich hingegen annähernd gleich hohe Erwerbstätigenquoten in Ost- und Westdeutschland, was sich sowohl mit der höheren regionalen Mobilität von Hochschulabsolventinnen und -absolventen als auch der hohen Nachfrage nach ihnen erklären lässt.

„Es lassen sich deutliche Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung nach Ost und West sowie nach Bundesländern ausmachen.“

Aus aktuellem Anlass nun ein Blick auf die Erwerbsbeteiligung von Personen mit Migrationshintergrund: Es gelingt inzwischen zwar besser, diese Gruppe in die Erwerbsarbeit zu integrieren, jedoch bleiben immer noch substanzielle Ungleichheiten bei gleichem formalem Qualifikationsniveau bestehen. Die Erwerbstätigen-, Nichterwerbstätigen- und Erwerbslosenquoten von Personen mit und ohne Migrationshintergrund haben sich in der letzten Dekade zwar weiter angenähert (siehe Abbildung 1), aber mit unübersehbaren qualifikationsspezifischen Differenzen. Während bei Personen ohne beruflichen Abschluss kaum noch Unterschiede festzustellen sind und diese auch bei den Personen mit einem Berufsausbildungsabschluss oder einem Fachschulabschluss eher gering ausfallen, sind Personen mit Hochschulabschluss und Migrationshintergrund schlechter in die Erwerbsarbeit integriert als solche ohne. Hierfür können Probleme bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen maßgeblich verantwortlich sein, zumindest legt dies die Differenz von etwa 11 Prozentpunkten zwischen der 1. (rund 77 % erwerbstätig) und der 2. beziehungsweise der 3. Generation (rund 88 %) nahe.

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Erwerbsbeteiligung und Einkommen bei Frauen und Männern

Im Zeitverlauf haben sich auch die Erwerbstätigenquoten von Frauen und Männern angenähert. Nichtsdestotrotz weisen die Frauen nach wie vor eine etwas geringere Erwerbsbeteiligung auf, obwohl sie inzwischen ein durchschnittlich besseres Bildungsniveau haben. Sind Frauen erwerbstätig, erzielen sie jedoch im Durchschnitt ein deutlich geringeres Einkommen als Männer. Trotz egalitärem Lohnsystem ist die Spreizung der Einkommen zwischen den Geschlechtern in den vergangenen 20 Jahren erstaunlich stabil geblieben. Das monatliche Bruttoeinkommen sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigter ergibt bei einem Vergleich zwischen Männern und Frauen einen Unterschied von etwa 21 % bei einem unbereinigten „gender-pay-gap“. Erfolgen die Einkommensvergleiche über einen bereinigten Index, also bei gleichem Abschlussniveau und gleicher beruflicher Tätigkeit, so zeigen sich immer noch erhebliche Einkommensunterschiede zum Nachteil der Frauen (zirka 19 %). Die Schere geht dabei mit steigendem Bildungsabschluss zuungunsten der Frauen auseinander. Das heißt, über „typische“ Männer- und Frauenberufe lässt sich das Phänomen ungleicher Verdienste nicht erklären. Es sind verschiedene Faktoren, die dabei wirken. Vor allem aber schlagen sich hierarchische Positionen innerhalb der Berufe (Männer sind häufiger in leitenden Funktionen tätig) sowie die zum Teil auch längeren Erwerbsunterbrechungen und damit kürzeren Berufserfahrungen der Frauen (zum Beispiel durch Familienzeiten) in der Höhe des Einkommens nieder.

Berufliche Qualifikation und Ausbildungsadäquanz der Arbeit

Die Ausbildungsadäquanz der Tätigkeit nach Ausbildungsabschluss beschreibt einen zunächst symbolischer Ertrag: die inhaltliche Passung von Ausbildung und Beschäftigung. Sie kann aber weitreichende Folgen für die Berufsbiografie mit sich bringen. Unter anderem spielt die Ausbildungsadäquanz für das Einkommen eine Rolle. Eine inadäquate Beschäftigung unterhalb des erworbenen Abschlussniveaus ist nicht selten mit Einkommensnachteilen, wie auch mit schlechteren Chancen für eine berufliche Erwerbskarriere verbunden. Nachfolgend wird am Beispiel der Berufsausbildung, das heißt für Berufe der mittleren Qualifikationsebene, skizziert, welche Unterschiede in der Ausbildungsadäquanz bei den quantitativ bedeutsamsten Berufsgruppen bestehen. Eine ausbildungsadäquate Beschäftigung steht dabei nicht für volle inhaltliche Übereinstimmung von erlerntem und ausgeübtem Beruf. Vielmehr geht es darum, ob sich mit der ausgeübten Tätigkeit ein annähernd gleiches Niveau zum erlernten Beruf verbindet. Basis für diese Darlegungen ist die neueste Klassifikation der Berufe (KldB) durch die Bundesagentur für Arbeit.

So ist – bezogen auf das mittlere Qualifikationsniveau (Berufsausbildungsabschluss) – rund ein Viertel der hier betrachteten Jahrgänge (2010 und 2012) ehemaliger Absolventinnen und Absolventen 2 Jahre nach Ausbildungsabschluss unterhalb ihres Qualifikationsniveaus tätig. Schaut man etwas genauer auf die Berufsgruppen, so werden Probleme einer adäquaten Beschäftigung vor allem für gewerblich-technische Berufe wie Maler und Lackierer, für die Bereiche Mechatronik, Energie und Elektro sowie für Kfz-Berufe, aber auch für Tätigkeiten in der Lebens- und Genussmittelherstellung und der Speisenzubereitung offensichtlich (siehe Abbildung 2).

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Die Gesundheits- und Körperpflegeberufe sind hingegen in einer deutlich günstigeren Situation. Ihr Anteil nicht niveauadäquater Beschäftigung liegt um mehr als 5 Prozentpunkte niedriger als in den zuvor genannten gewerblich-technischen und Nahrungsmittel herstellenden Berufen. Da die hier betrachteten quantitativ bedeutsamsten Berufsgruppen geschlechtsspezifische Besetzungsmuster aufweisen, sind auf der mittleren Fachqualifikationsebene Frauen zu geringeren Anteilen (etwa 16 %) von einer Niveauinadäquanz betroffen als Männer (zirka 21 %).

„Ausländische Personen erfahren unverkennbar eine Kummulation von Benachteiligungen am Arbeitsmarkt.“

Bei den ausländischen Absolventinnen und Absolventen zeigt sich nach Geschlecht ein ähnliches Muster wie bei den deutschen, allerdings auf einem um jeweils zirka 5 Prozentpunkte höherem Niveau. Ausländische Personen erfahren unverkennbar eine Kumulation von Benachteiligungen am Arbeitsmarkt: Zum einen weisen sie – wie eingangs geschildert – die schlechteren Erwerbschancen auf, zum anderen haben sie größere Schwierigkeiten, mit ihrem Ausbildungsabschluss eine adäquate Beschäftigung zu erreichen.

Fazit
Die drei hier vorgestellten Aspekte der Arbeitsmarkterträge von Bildungszertifikaten machen deutlich: Will man Bildungserträge systematisch analysieren, sind zwei Sachverhalte zu beachten:

1. Arbeitsmarkterträge sind empirisch selten allein vom Bildungsniveau beziehungsweise dem Bildungszertifikat abhängig. Sie stehen auch im Zusammenhang mit weiteren Faktoren, beispielsweise der regionalen Wirtschaftsstruktur (Ost-West) und den kulturellen Mustern der Arbeitsorganisation (Geschlechtsstereotype); diese setzen den Wirkungszusammenhang von Bildung und Arbeitsmarktertrag nicht außer Kraft, modifizieren und relativieren ihn aber in den jeweiligen sozioökonomischen Kontexten.

2. Die berufliche Ausbildungsadäquanz der Tätigkeit und der normalerweise mit einem Ausbildungsabschluss verbundene soziale Status – also eher symbolische Erträge von Bildung – schlagen sich beim Eintritt in die Beschäftigung nicht unmittelbar im Einkommen und in der Erwerbsbeteiligung nieder. Ausbildungsinadäquanz und Statuseinbußen in dieser Berufsphase wirken sich aber gegebenenfalls mittel und langfristig negativ auf die beruflichen Perspektiven und damit mittelbar auf die materiellen Arbeitsmarkterträge aus.

Die Daten zeigen, wie sehr Arbeitsmarkterträge neben der Bildung von weiteren Effekten der sozioökonomischen Kontexte mit abhängen. Dies in der Bildungsdebatte zu beachten, kann helfen, vor falschen Erwartungen zu schützen.“

 

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Prof. Dr. Susan Seeber ist Professorin für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung an der Georg-August-Universität Göttingen. Schwerpunkte ihrer Forschung sind die Lehr-Lern-Forschung in der beruflichen Bildung, soziale Disparitäten beim Übergang in die berufliche Ausbildung und Bildungsmonitoring. Kontakt

 

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Prof. Dr. Martin Baethge ist Präsident des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI) an der Georg-August-Universität. Von 1973 bis 2004 hatte er die Professur für „Allgemeine Soziologie mit den Schwerpunkten Bildungs- und Berufssoziologie, Soziologische Methodenlehre“ an der Universität inne. Schwerpunkte seiner Forschung sind: Arbeits- , Berufs- und Qualifikationsforschung (besonders Dienstleistungssektor), Berufsbildungs- und Weiterbildungsforschung im internationalen Vergleich sowie berufliche Kompetenzanalysen vor dem Hintergrund sozioökonomischen Kontexte. (Nachtrag der Redaktion: Prof. Dr. Martin Baethge ist inzwischen zu unserem großen Bedauern verstorben.)

In unserer Blog-Serie über den Bildungsbericht beleuchten Mitglieder der für den Bericht verantwortlichen Autorengruppe gemeinsam mit weiteren Fachleuten ausgewählte Ergebnisse in kurzen, prägnanten Essays. Bisherige Beiträge befassten sich mit der Entwicklung in den Kitas, mit der Hochschulbildung, mit der Erwerbsstruktur in Familien sowie mit Bildung und Migration. Alle diese Beiträge und noch einige weitere können zudem in der Ausgabe Nr. 24 des Magazins DIPF informiert nachgelesen werden.

Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Philip Stirm für DIPF.

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