Nach dem „PISA-Schock“ im Jahr 2000 setzte die Bildungspolitik unter anderem auf einen Ausbau schulischer Ganztagsangebote in Deutschland. Der Ausbau wird wissenschaftlich begleitet. Professorin Dr. Natalie Fischer und Katrin Heyl von der Universität Kassel zeigen, dass die Forschung dabei auch gemeinsam mit den Schulen die Qualität der Ganztagsangebote weiterentwickeln möchte. Ein Beispiel ist das zusammen mit dem DIPF durchgeführte Projekt StEG-Tandem . Es zielt darauf, kooperative Lernformen in der Hausaufgabenbetreuung und in den Übungszeiten einzuführen.
Von Katrin Heyl und Natalie Fischer
StEG setzt seit 1. Januar 2005 ein länderübergreifendes Forschungsprogramm um, dessen Ziel es ist, den Ausbau und die Qualitätsentwicklung von Ganztagsschulen und -angeboten zu begleiten. Von der Studie wird nicht nur wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn erwartet. Sie soll auch fundierte Hinweise geben, wie sich die Qualität der Angebote in den Schulen besser steuern und die Schulverwaltung unterstützen lässt. Finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung befindet sich StEG seit 2016 in der dritten Förderphase und das Augenmerk liegt stärker denn je auf dem Transfer des bisher erarbeiteten Wissens in die Schulpraxis.
Praxistransfer und Handlungswissen als Ziele der Forschung
In den ersten Phasen hat das StEG-Team vornehmlich Ist-Zustände erhoben und beschrieben (Monitoring, Diagnosewissen) sowie Bedingungen von Veränderungen und Entwicklungen – sowohl bei den Schulen als auch bei den Schülerinnen und Schülern – untersucht (Erklärungswissen). In der dritten Phase sollen nun durch Implementations- und Interventionsstudien Handlungsempfehlungen abgeleitet (Handlungswissen) und umgesetzt werden. Das hier vorgestellte Teilprojekt StEG-Tandem orientiert sich dabei stark an den Bedarfen der beteiligten Schulen (symbiotische Implementationsstrategie). In diesem Zusammenhang werden Gelingensbedingungen und Stolpersteine bei der praktischen Umsetzung der so entstandenen Schulentwicklungsmaßnahmen in den Blick genommen.
Kernelemente und Grundlagen der Studie
Schon in der ersten Phase von StEG zeigte sich, dass die Hausaufgabenbetreuung das häufigste Angebot an Ganztagsschulen darstellt. Hintergrund ist, dass es innerhalb der Ganztagsschullandschaft Bestrebungen gibt, die Hausaufgaben in die Schule zu verlagern oder sogar zugunsten von Lern- und Übungszeiten ganz darauf zu verzichten. Allerdings deckte die Forschung auch einige Probleme auf, darunter mangelnde personelle Ressourcen, zu wenig fachliche Unterstützung der Lernenden und wenig Raum für individuelle Förderung. Diese Probleme sind der Ausgangspunkt von StEG-Tandem. Das Projekt zielt darauf, schulinterne Ressourcen zu nutzen, um insbesondere jüngere Schülerinnen und Schüler verstärkt bei den Hausaufgaben oder in den Lernzeiten zu unterstützen und individuell zu fördern. Kernelemente sind eine Umgestaltung der Hausaufgabenbetreuung beziehungsweise der Lern- und Übungszeiten sowie die Einführung kooperativer Lernformen. Konkret sollen gleichaltrige Schülerinnen und Schüler gemeinsam lernen (Peer Learning) und ältere jüngere unterstützen (Peer Mentoring). Der Kontakt von Schülerinnen und Schülern miteinander soll nicht nur lern- und fachbezogene, sondern gezielt auch soziale Kompetenzen stärken. Wie die Umsetzung erfolgt und welche weiteren Neukonzeptionen sich ergeben, ist den Schulen freigestellt.

StEG-Tandem unterstützt zurzeit fünf Integrierte Gesamtschulen bei der (Neu-)Konzeption der Hausaufgabenbetreuung oder der Lernzeiten. Dabei gliedert sich das Projekt in vier Phasen. Grundlage ist eine Evaluation durch das StEG-Tandem-Team. Dabei konzentrierte sich das Team zunächst darauf, den Ist-Zustand im Schuljahr 2016/17 zu erheben, und ist nun dazu übergegangen, die neu erarbeiteten Konzepte im Schuljahr 2017/18 wissenschaftlich zu begleiten. Die im ersten Schritt von Schülerinnen und Schülern, Mentorinnen und Mentoren, Eltern, Lehrkräften und pädagogischem Personal erhobenen Daten können direkt für die (Weiter-)Entwicklung der schulspezifischen Konzepte genutzt werden. Durch die Verzahnung qualitativer und quantitativer Methoden wird eine umfassende Informationsbasis generiert, um die Konzepte zu entwickeln und gegebenenfalls zu modifizieren.
Vier Phasen der Umsetzung in den Schulen
In der Konzeptionsphase (Schuljahr 2016/17) bildete sich an jeder der fünf teilnehmenden Schulen eine Arbeitsgruppe, um spezifische Konzepte zu entwickeln. Neben der wissenschaftlichen Begleitung wurden die Arbeitsgruppen jeweils durch einen externen Schulbegleiter unterstützt. Zudem erhielten die Teilnehmenden den vom StEG-Tandem-Team verfassten Leitfaden. Er beinhaltet einen Überblick über die gesamte Studie sowie vertiefte wissenschaftliche Informationen und Umsetzungsbeispiele aus der Praxis zu verschiedenen Themen (unter anderem zur Qualität und Wirkung von Hausaufgaben, zu Lernzeiten, zu kooperativem Lernen und zum Peer Mentoring).
Statt ein fertiges Konzept umsetzen zu müssen, hatten die Schulen freie Gestaltungsmöglichkeiten (zum Beispiel hinsichtlich der zeitlichen Organisation, der Schulung der älteren Schülerinnen und Schüler sowie der Hausaufgabenpraxis). Dabei entschieden sie selbst, welches der Themen im Leitfaden sie vertiefen wollten und brachten eigene Themen ein (etwa Individualisierung). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützten die Schulen je nach Bedarf mit Expertise oder durch die Vermittlung von Kontakten. Abgerundet wurde die Erarbeitung der Konzepte durch einen vom StEG-Tandem-Team organisierten Fachtag. Er diente einerseits dazu, die teilnehmenden Schulen zu vernetzen, anderseits gaben andere Schulen, die an ihrer Schule bereits Peer-Mentoring-Konzepte umsetzen, praxisnahe Einblicke und Anregungen.
In der jüngst gestarteten Erprobungsphase (1. Halbjahr Schuljahr 2017/18) setzen die Schulen nun die spezifischen Konzepte um. Sie bilden ältere Schülerinnen und Schüler selbst fort (meist im Rahmen von Wahlpflichtunterricht) und setzen sie dazu ein, Fünftklässlerinnen und Fünftklässler bei den Hausaufgaben oder in den Lern- und Übungszeiten als Mentorinnen und Mentoren zu unterstützen. Auch während dieser Phase erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Team, um das Konzept auf Basis der Evaluationsergebnisse weiter zu verbessern und auf mögliche Probleme einzugehen.
In der sich anschließenden Umsetzungsphase (2. Halbjahr Schuljahr 2017/18) soll das Konzept fest im Schulalltag verankert werden. Auf Grundlage der Evaluationsergebnisse der Erprobungsphase können weiterhin Modifikationen vorgenommen werden. Auch dabei steht das StEG-Tandem-Team beratend zur Seite, zieht sich jedoch langsam aus dem weiteren Prozess zurück, so dass die Schulen möglichst unabhängig agieren können.
In der letzten Phase, der selbstständigen Umsetzung (Schuljahr 2018/19), haben sich die Forscherinnen und Forscher sowie die jeweiligen Schulbegleiter vollständig aus den Schulen zurückgezogen. Diese können das Konzept nun mit nachfolgenden Klassenstufen weiter verfolgen und bei Bedarf zusätzlich modifizieren, etwa durch eine Ausweitung auf den Jahrgang 6. Zum Abschluss der Kooperation und der Studie ist jeweils ein Reflexionstreffen zwischen dem StEG-Tandem-Team und der Arbeitsgruppe geplant. Insgesamt ist mit dieser Strukturierung in vier Phasen die Hoffnung verbunden, dass die Schulen die so implementierte Schulentwicklungsmaßnahme dauerhaft und unabhängig umsetzen.
Ausblick
StEG-Tandem ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Gesamtstudie in ihrer dritten Förderphase mit Begleitungen und Evaluationen dazu beiträgt, ihre bisher gewonnen Erkenntnisse in Handlungswissen für die Praxis und die Bildungsverwaltung zu übertragen. Die einzelnen StEG-Projekte liefern wichtige Erkenntnisse, die praxisnah dafür genutzt werden können, Standards und Qualitätsrahmen für Ganztagsschulen zu entwickeln. Darin fließen auch die Ergebnisse der systematischen Bestandsaufnahme der Ganztagsschulentwicklung ein, die StEG alle drei Jahre durchführt. Gleichzeitig können Resultate von StEG-Tandem der Wissenschaft als Grundlage für weitere Implementationsprojekte zur Verfügung gestellt werden.“
Dieser Beitrag erschien zuerst in Ausgabe 25 des Magazins DIPF informiert.
Die Autorinnen:
Prof. Dr. Natalie Fischer ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt „Soziale Beziehungen in der Schule“ an der Universität Kassel und gehört zum mehrere Institute übergreifenden Team der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG). Weitere Schwerpunkte ihrer Forschung im Kontext von Schule und Lehrerbildung sind:
- Pädagogische Beziehungen
- Erfassung und Förderung sozialer Kompetenzen
- Multiprofessionelle Kooperation.
Kontakt
Katrin Heyl hat einen Master-Abschluss in Psychologie und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im StEG-Tandem-Team am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Kassel. Zu ihren weiteren Arbeitsschwerpunkten zählen:
- Entwicklung sozialer Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern
- Peer-Beziehungen
- Schul- und Klassenklima.
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