Wie können Wissenschaft und andere Akteure im Bildungsbereich voneinander lernen? Diese Frage ist für die Arbeit am DIPF essentiell. Um den Wissenstransfer voranzutreiben, sucht das DIPF den Austausch mit Bildungspraxis, -politik und -verwaltung ebenso wie mit der interessierten Öffentlichkeit und hat dazu eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet – geleitet von Dr. Juliane Grünkorn. Hier erklärt die Bildungsforscherin, wie aus Transfer von Wissen über Bildung ein echter Mehrwert für alle Seiten entstehen kann.
Aus Ihrer Erfahrung: Wie läuft denn im Bildungswesen der Austausch der Wissenschaft mit anderen gesellschaftlichen Gruppen ab?
Bisher wird Wissen häufig nur in eine Richtung weitergegeben: Forscherinnen und Forscher stellen Personen aus der Bildungspraxis, -politik oder -verwaltung wissenschaftliche Erkenntnisse vor – beispielsweise ganz klassisch in Form eines Vortrags oder einer Publikation. Dabei kommt es darauf an, die Informationen zielgruppengerecht aufzubereiten. Dagegen wird der wechselseitige Erfahrungs- und Wissens-Austausch mit den genannten Personenkreisen bislang nur wenig wahrgenommen, kann aber für Forschende und die entsprechenden Zielgruppen von gemeinsamem Nutzen sein.
Was ist das Ziel dieses Vernetzens von Fachkenntnissen und Erfahrungen?
Bildungswissen soll möglichst vielfältig genutzt werden können. Wenn die Wissenschaft dazu beiträgt, Herausforderungen im Alltag zu meistern, hat sie direkte Relevanz für die Gesellschaft. Sagen wir mal, die Bildungspolitik möchte die Lehrerfortbildung weiterentwickeln. Dann kann es sehr hilfreich sein, Einblick in den Forschungsstand zu diesen Fragen zu erhalten. So wäre es möglich, Handeln nach empirischen Erkenntnissen auszurichten. Zugleich ist es für die Wissenschaft von großem Wert, mehr über konkrete Erfahrungswerte und Bedarfe im Bildungswesen zu erfahren. Diese Informationen können in die Konzeption von Studien einfließen, die dadurch gesellschaftlich anschlussfähiger werden. Ich möchte aber betonen, dass Forschungsergebnisse nicht zwangsläufig eine unmittelbare praktische Relevanz haben müssen. Die langfristiger angelegte Grundlagenforschung hat eine immense Bedeutung. Sie bringt die Wissenschaft selbst voran – etwa durch neue methodische Zugänge. Wir betrachten den Transfer von Wissen über Bildung allerdings ebenfalls als eine elementare Aufgabe.
Geben Sie doch einmal ein paar prägnante Beispiele für den gesellschaftsorientierten Wissenstransfer am DIPF!
Das ist gar nicht so leicht, weil wir diesen Transfer wirklich auf vielen Wegen angehen: über Vorträge, Online-Portale, Beratungen, Publikationen, Schulungen, praxisnahe Netzwerkarbeit und, und, und. Ich nenne mal exemplarisch einige Veranstaltungsreihen, an deren Organisation wir maßgeblich beteiligt sind: Das wäre zunächst das Bildungspolitische Forum, auf dem Wissenschaft, Politik und Verwaltung Lösungen für große Herausforderungen wie die Integration von Zugewanderten diskutieren. Das Frankfurter Forum bringt wiederum der pädagogischen Praxis neueste Entwicklungen und Ergebnisse der Bildungsforschung näher – zum Beispiel Testverfahren, um Lernschwierigkeiten feststellen zu können. Und über Ausstellungen geben wir der breiten Öffentlichkeit Einblick in bildungshistorische Themen. Wir stellen unser Fachwissen aber auch sehr gezielt zur Verfügung, etwa über Evaluationen. Erst vor wenigen Monaten sind die Ergebnisse der von uns mitgetragenen wissenschaftlichen Begleitung der Schulstrukturreform in Berlin veröffentlicht worden. Sie helfen, die Umsetzung und die Wirkungen dieser Reform möglichst sachlich beurteilen zu können.
Können Sie den genannten wechselseitigen Austausch konkretisieren?
Das lässt sich ganz gut anhand eines am DIPF geplanten Projektes erläutern: Die Studie möchte untersuchen, wie gut sich Unterricht auf die individuellen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern einstellt. Bei der Entwicklung der Erhebungsverfahren und der Konzeption der Studie stützt sich das Projektteam auf vorab geführte Gespräche mit Lehrkräften und Schulleitungen, mit Vertreterinnen und Vertretern der Bildungsverwaltung, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Deutschen Schulakademie. So soll das Ganze möglichst praxisrelevant und anschlussfähig gestaltet werden. Man muss allerdings sagen, dass solche Formen der interaktiven Zusammenarbeit noch ausbaufähig sind.
Wo sehen Sie weitere Herausforderungen?
Auf mehreren Ebenen: Das Thema Transfer ist ja in den letzten Jahren stark in den Vordergrund gerückt, zum Beispiel durch ein Positionspapier des Wissenschaftsrats. Das System zur Bewertung von wissenschaftlichen Leistungen ist aber noch gar nicht so weit. Für Karrieren in der Bildungsforschung haben Transferaktivitäten noch nicht den gleichen Stellenwert wie etwa wissenschaftliche Publikationen. Das stellt Kolleginnen und Kollegen, die sich im Transfer engagieren wollen, vor ein Dilemma. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich bei der Kommunikation mit den Zielgruppen. Es ist bereits eine Herausforderung, unsere Fachsprache angemessen zu „übersetzen“. Und selbst dann trifft die vorsichtige und auf gesicherte Befunde ausgerichtete Sprache der Forschung nicht immer die Erwartungen. Nehmen wir mal Erzieherinnen und Erzieher: Die erhoffen sich oft gezielte Aussagen zu pädagogischen Aufgaben beziehungsweise Herausforderungen in den Kitas. Die können wir aber so gar nicht treffen oder nur auf Basis von langfristig angelegten Studien. Da kann es schnell zu Enttäuschungen kommen.
Es gibt also noch viel zu tun: Wie packt das DIPF es an?
Nach intensiver konzeptioneller Vorbereitung hat die Institutsleitung in unserem Leitbild verankert, dass Transfer eine zentrale Aufgabe und Leistung des DIPF ist – neben unserer Forschung und unseren wissenschaftlichen Infrastrukturen. Daran können sich nun alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientieren. Zudem wurde eine eigene Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die helfen soll, entsprechende Initiativen am Institut zu stärken und Schwachpunkte zu beheben. Wir können beispielsweise die Wirksamkeit von Transferleistungen noch nicht gut erfassen. Um sich in diesem Bereich zu verbessern, hat unsere Arbeitsgruppe unter anderem eine interne Ausschreibung auf den Weg gebracht, in die sich alle Beschäftigten mit innovativen Ideen einbringen können. Im Ergebnis sollen dabei auch neue Formate für den Austausch mit den anderen gesellschaftlichen Gruppen entstehen und bestehende Angebote optimiert werden.
Was ist vom Institut im Transferbereich in den kommenden Jahren zu erwarten?
Von den skizzierten strategischen Weichenstellungen dürften einige organisatorische und inhaltliche Impulse ausgehen. Wir werden auch viele langfristige Transferaktivitäten fortsetzen und weiterentwickeln. Dazu zählt der nationale Bildungsbericht. Unter Federführung des DIPF wird er von verschiedenen Institutionen alle zwei Jahre erstellt. Auf Basis von Daten der amtlichen Statistik und aus sozialwissenschaftlichen Erhebungen informiert das Werk Politik, Verwaltung, Praxis und die interessierte Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen im gesamten Bildungswesen. Ein bedeutendes dauerhaftes Transferangebot ist zudem der von unserem Institut koordinierte Deutsche Bildungsserver. Als zentraler, von Bund und Ländern getragener Internet-Wegweiser zum Bildungssystem stellt er allen damit befassten Professionen sorgfältig aufbereitete Web-Informationen und Medienprodukte zur Verfügung. Und das sind nur zwei unserer Angebote, die wir auch künftig unterbreiten werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Juliane Grünkorn ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung „Bildungsqualität und Evaluation“ des DIPF und leitet darüber hinaus eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe, die darauf hinwirkt, den Wissenstransfer des Instituts zu verbessern.
Das Interview erschien zuerst in Ausgabe 25 des Magazins DIPF informiert im Rahmen des Schwerpunktthemas „Voneinander lernen“.