Egal ob es um Spracherwerb, individuelle Förderung oder Zwischenmenschliches geht: Im Bildungsalltag ist Migration ein wichtiger Faktor, der Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und alle weiteren Beteiligten des Bildungswesens vor unterschiedliche Herausforderungen stellt. Vergangenes Jahr hat sich eine Vortragsreihe, die das IDeA-Zentrum des DIPF in Kooperation mit der Hessischen Lehrkräfteakademie, dem Hessischen Kultusministerium und der Goethe-Universität Frankfurt am Main organisiert hat, mit diesem Thema beschäftigt. Die Ergebnisse sind nun in der Publikation „Schule migrationssensibel gestalten – Impulse für die Praxis“ aufbereitet worden, die DIPF-Mitarbeiterin Jeanette Ziehm für das IDeA-Zentrum mit herausgegeben hat. Wir geben einen kurzen Einblick, welche Impulse die Leserinnen und Leser erwarten.
Seien Sie nicht beunruhigt, wenn Kinder mit Deutsch als Zweitsprache nicht so rasch zu einsprachigen Mitschülerinnen und Mitschülern aufschließen können. Haben Sie Geduld, die Kinder das aufholen zu lassen, wofür die einsprachigen Kinder viel länger Zeit hatten.
Im Kapitel „Sprachförderung für Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache: Mythen und Fakten“ erläutern Sabrina Geyer, Barbara Voet Cornelli, Rabea Lemmer, Anja Müller und Petra Schulz, dass es im Fall von Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache grundsätzlich von ganz verschiedenen Faktoren abhängt, wie gut der Spracherwerb des Deutschen individuell funktioniert: vom Alter, der Kontaktdauer zum Deutschen, individueller Förderung durch Eltern und Lehrkräfte, usw.
Daher sei es generell schwierig, Aussagen zum Stand des Spracherwerbs zweisprachiger Schülerinnen und Schüler zu treffen. Vor allem – so betonen die Autorinnen – seien „[s]trikte Altersvorgaben, die für das Erreichen sprachlicher Fähigkeiten für alle Lehrer/innen unabhängig von ihrem Spracherwerbshintergrund genutzt werden können […] weder möglich noch sinnvoll“ (S. 16).
Sprachförderung sollte die verschiedenen Ebenen der Sprache berücksichtigen und an den individuellen Sprachstand der Kinder angepasst sein.
Die schriftliche Aufarbeitung der Vortragsreihe zeigt zahlreiche Möglichkeiten auf, wie man Unterrichtsinhalte an den individuellen Sprachstand von Schülerinnen und Schülern anpassen kann. Eine, vorgestellt von Ilonca Hardy, Rosa Hettmannsperger und Katrin Gabler in ihrem Beitrag „Sprachliche Bildung im Fachunterricht: Theoretische Grundlagen und Förderansätze“ nennt sich „Scaffolding“ (S. 44). Darunter versteht man ein sprichwörtliches Gerüst, das je nach Sprachstand der Schülerinnen und Schüler auf-und nach und nach wieder abgebaut werden kann, um die Unterrichtsziele je nach individuellem Stand zu erreichen. In ihrem Beitrag zeigen sie ein Muster auf, wie „Scaffolding“ am Beispiel Biologieunterricht aussehen und funktionieren kann.
Komplexe Traumatisierungen, die aus Fluchterfahrungen resultieren können, zeigen sich ganz unterschiedlich. Fragen Sie deshalb nicht danach, wie auffällig ein Kind ist, sondern was es erlebt hat.
In ihrem Beitrag „Was können wir aus frühen Präventionsansätzen für den Umgang mit Trauma in der Schule lernen“ beschäftigten sich Constanze Rickmeyer, Nora Hettich, Judith Lebiger-Vogel, Marianne Leuzinger-Bohleber und Patrick Meurs mit den Auswirkungen, die Traumata und Fluchterfahrungen auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund haben können: „Als Folge von Traumatisierungen können normale psychische und physiologische Reaktionen beeinträchtigt und die Wahrnehmung und das Erleben neuer Erfahrungen nachhaltig verändert sein. Dies kann dazu führen, dass die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verschwimmen. Besonders das Vertrauen in andere Menschen und Institutionen sowie positive Erwartungen hinsichtlich der Zukunft werden erschüttert.“ (S. 104) Zum Abschluss ihres Beitrags geben die Autorinnen und der Autor wichtige Praxistipps für Lehrkräfte, wie der Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen trotz aller Herausforderungen gelingen kann.
Die Schule sollte allen Schülerinnen und Schülern als angstfreier Raum dienen, der dem Alltag der Kinder Struktur und Sicherheit verleiht.
Für die Gesellschaft gewinnt das Thema Resilienz immer mehr an Bedeutung, was sich auch in den Schulen niederschlägt, die – so Jana Meemann und Patrick Meurs in ihrem Beitrag „Resilienzförderung bei Adoleszenten mit Migrations- und Fluchthintergrund“ – direkt nach Familie und dem näheren sozialen Umfeld zu den wichtigsten Sozialisationsinstanzen von Kindern und Jugendlichen gehören. „Schule soll Schüler/innen dazu motivieren, neue Sachverhalte zu verstehen, Gemeinschaft fördern sowie Frieden und ein positives Miteinander vorleben. […] Da Unterricht in einem Klassenverband stattfindet, bietet Schule die Gelegenheit, Bindungen aufzubauen, was laut Theorie der geistigen Entwicklungen nach Piaget (2003) notwendig ist, um einen Zuwachs an Bildung zu ermöglichen. Bindungen können sowohl zwischen Schüler/innen untereinander als auch zur Lehrperson eingegangen werden.“ (S. 121) Auch hier stehen als Fazit abschließende Tipps für Lehrkräfte (S. 131) zur Verfügung.
Es lohnt sich, an der Schule eine Willkommenskultur zu fördern.
Allein der letztgenannte Faktor der Resilienz, die durch ein gutes Miteinander entsteht, ist ein wichtiger Stützpfeiler dieser These, die auch in Helmolt Rademachers Beitrag „Demokratielernen in der Zuwanderungsgesellschaft“ eine große Rolle spielt. Hierin beschreibt er, wie die Herausforderungen Integration in die Gesellschaft, interkulturelles Lernen und der Abbau von Vorurteilen und interkulturellen Konflikten gelingen können und welche Rolle all das für das Demokratielernen an der Schule spielt. Zusätzlich zeigt er Möglichkeiten auf, wie Schulen selbst eine demokratische Entwicklung durchlaufen können, um Demokratie für alle Beteiligten zu etwas Spürbarem zu machen (S. 88).
Die Lehrkraft ist das wirkungsvollste Medium im Lehr-Lernprozess: Berücksichtigen Sie Risikofaktoren und stärken Sie die Resilienz der Schülerinnen und Schüler.
In Alfred Holzbrechers Beitrag „Interkulturelle und diversitätsbewusste Schulentwicklung als kollegialer Professionalisierungsprozess“ dreht sich alles um die aktive Rolle der an einer Schule tätigen Personen innerhalb der Entwicklung zu einer migrationssensiblen Schule. Er geht auf die fachlichen Aspekte – zum Beispiel durchgängige Sprachbildung in allen Fächern oder Leistungsbeurteilung – genauso ein, wie auf das menschliche Miteinander, etwa in der Elternarbeit oder beim Umgang mit Störungen und Konflikten. Auch Mischformen von klassischem Unterricht und sozialen schulischen Aktivitäten wie Austauschprogramme und zivilgesellschaftliche Schülerprojekte sind in der ganzheitlichen Betrachtung Holzbrechers in Sachen der Schulentwicklung wichtige Aspekte. Um all das zu meistern, ruft er zu „kollegialer Kooperation“ (S. 172) auf, durch die viele Herausforderungen einfacher zu bewältigen sind.
Die genannten Praxisimpulse werden an zahlreichen weiteren Stellen im Buch thematisiert und hier nur beispielhaft erläutert, so dass Lehrkräfte und andere Vertretende der Bildungspraxis aller Schulformen Inspirationen für Vorgehensweisen und die Bewältigung von Herausforderungen finden sollten. „Schule migrationssensibel gestalten – Impulse für die Praxis“ ist ab sofort im Handel erhältlich. Eine Leseprobe sowie weitere Materialien erhalten Sie auf der Seite des Beltz-Verlags.
Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Sandra Kathe für DIPF.