Auf das Miteinander kommt es an

Stärkt man die sozialen, emotionalen und interkulturellen Kompetenzen von Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften, verbessert sich an Schulen vieles: zum Beispiel das Schulklima, das Selbstbild der Kinder aber letztlich auch das Lernen. Davon gehen Dr. Svenja Vieluf und Dr. Nina Roczen aus, denn sie sind Teil eines internationalen Projektes, das diese Kompetenzen durch ein gezieltes Training verbessern möchte. Wie genau, das erläutern die beiden Forscherinnen im Interview.

Was genau muss man sich unter sozialen, emotionalen und interkulturellen Kompetenzen vorstellen?

Mit emotionalen Kompetenzen ist gemeint, die eigenen Empfindungen zu erkennen. Diese äußern sich oft recht körperlich, dazu zählt zum Beispiel der sprichwörtliche „Kloß im Hals“. Zugleich geht es darum, Gedanken den richtigen Emotionen zuzuordnen. Oft verwechseln Kinder beispielsweise Traurigkeit mit Wut und reagieren entsprechend aggressiv, wenn sie traurig sind. Wichtig ist es auch, seine Emotionen kontrollieren zu können. Das bedeutet nicht, dass diese unterdrückt werden. Aber oft ist es für das eigene Wohlergehen – und das anderer – besser, Reaktionen zunächst zurückzuhalten, um sie etwas später mit mehr Bedacht äußern zu können. Kernelemente sozialer Kompetenz sind die Fähigkeiten, die Perspektive anderer einzunehmen, mit ihnen mitzufühlen und sie wertzuschätzen, zugleich offen und neugierig zu sein. Sie helfen, Beziehungen aufzubauen und aufrecht zu erhalten. All diese emotionalen und sozialen Kompetenzen braucht man auch, um sich in interkulturellen Situationen angemessen zu verhalten. Hinzu kommt aber beispielsweise, Menschen nicht in „wir“ und „andere“ einzuteilen und zu verstehen, dass die Identität einer Person durch eine Vielzahl von Faktoren geprägt wird – und nicht etwa allein durch die Zugehörigkeit zu einem Land oder einer Religionsgemeinschaft. Ebenso ist es wichtig, Ungleichheiten in der Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf das Leben von Menschen erkennen und kritisch reflektieren zu können.

„Kernelemente sozialer Kompetenz sind die Fähigkeiten, die Perspektive anderer einzunehmen, mit ihnen mitzufühlen und sie wertzuschätzen, zugleich offen und neugierig zu sein. Sie helfen, Beziehungen aufzubauen und aufrecht zu erhalten.“

Und auf welche Weise ist es für das Arbeiten und Lernen in der Schule hilfreich, wenn man diese Kompetenzen fördert?

Die Forschung zeigt: Kinder mit gut ausgeprägten sozialen, emotionalen und interkulturellen Kompetenzen fühlen sich wohler, sind selbstbewusster, hilfsbereiter, weniger aggressiv und haben bessere Beziehungen zu Gleichaltrigen sowie zu ihren Lehrpersonen. Sie sind aktiver im Klassenzimmer und haben bessere Schulleistungen. Kinder und Jugendliche können also in verschiedenerlei Hinsicht von einem entsprechenden Training profitieren. Eine solche Fördermaßnahme für die Schule entwickeln wir in unserem Projekt „Hand in Hand“. Dabei verfolgen wir einen sogenannten „whole school approach“. Das heißt, wir arbeiten auch mit Lehrpersonen, Schulleitungen und anderem pädagogischen Personal. In den Trainings für diese Zielgruppen sollen sie die Möglichkeit erhalten, ihre Kompetenzen im Bereich der Förderung sozialer, emotionaler und interkultureller Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen gemeinsam zu reflektieren und auszubauen.

Bietet das Training den Lehrerinnen und Lehrern einen weiteren Mehrwert?

Ja, das Training für die Lehrpersonen hat ebenso zum Ziel, diese als Individuen zu stärken. Das Lehramt ist ein anspruchsvoller Beruf, denn er bringt viel Verantwortung für die heranwachsenden Menschen mit sich. Gleichzeitig ist er von herausfordernden Widersprüchen geprägt. Beispielsweise sollen Lehrpersonen alle Lernenden individuell fördern, aber auch Noten vergeben und damit Grundlagen für Selektionsentscheidungen legen. Schule ist eine Pflichtveranstaltung, aber Lehrpersonen sollen Kinder und Jugendliche in ihrer Autonomieentwicklung unterstützen. Sie müssen außerdem ertragen, dass die jungen Menschen sich ausprobieren, Grenzen testen und sie auch mal ordentlich provozieren. Das Training will die Lehrpersonen dabei unterstützen, in Anbetracht dieser Herausforderungen gut auf sich achtzugeben und Raum für Erholung zu finden. Zusammengenommen sollen die verschiedenen Elemente des Hand-in-Hand-Programms auch dazu beitragen, dass sich das Schulklima für alle verbessert, also inklusiver wird. Davon profitieren im Besonderen diejenigen, die stärker von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen sind, wie etwa Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund oder aus anderen sozial benachteiligten Milieus.

„Zusammengenommen sollen die verschiedenen Elemente des Hand-in-Hand-Programms auch dazu beitragen, dass sich das Schulklima für alle verbessert, also inklusiver wird.“

Wie läuft das Projekt genau ab und was ist Ihre Aufgabe dabei?

Hand in Hand ist eine Kooperationsarbeit von insgesamt acht wissenschaftlichen Einrichtungen aus fünf europäischen Ländern – gefördert durch das Erasmus+-Programm der EU. Die Partnerinstitute in Dänemark und Kroatien haben unter Beteiligung der Standorte in Schweden und Slowenien die Trainingsprogramme zur Förderung von sozialen, emotionalen und interkulturellen Kompetenzen für die genannten, am Schulalltag beteiligten Gruppen entwickelt. Diese Trainings sind an insgesamt 36 Schulen in 3 Schulsystemen getestet worden. Wir am DIPF übernehmen die externe Evaluation der Trainings. Gerade analysieren wir die Ergebnisse zu deren Wirksamkeit. Wir wollen also wissen, ob sich die sozialen, emotionalen und interkulturellen Kompetenzen und/oder das Klassenklima in den teilnehmenden Schulen durch die Trainings tatsächlich verändert haben. Gleichzeitig wollen wir erfahren, wie die Trainings von den Teilnehmenden wahrgenommen wurden. Aus den Ergebnissen möchten wir auch Verbesserungsvorschläge ableiten. Dafür haben wir Fragebögen und Tests eingesetzt, aber auch Interviews führen lassen. Die Programme sollen anschließend so aufbereitet werden, dass sie europaweit zum Einsatz kommen können.

Erläutern Sie doch noch einmal etwas genauer die verschiedenen Dimensionen des Förderprogramms!

Das Hand-in-Hand-Programm kombiniert verschiedene Ansätze: Achtsamkeit, einen familientherapeutischen Ansatz und Übungen aus dem Feld interkultureller Trainings und der Anti-Bias-Arbeit. Bei den achtsamkeitsbasierten Übungen geht es darum, das Bewusstsein auf die eigene Erfahrung im Moment zu richten, und zwar mit einer unvoreingenommenen, akzeptierenden und neugierigen Haltung. Studien haben gezeigt, dass eine regelmäßige Durchführung solcher Übungen helfen kann, die eigenen Emotionen besser wahrzunehmen, zu verstehen und sie deshalb auch besser zu regulieren. Achtsamkeit kann auch förderlich für soziale Kompetenzen sein. Unter anderem geht man davon aus, dass eine unvoreingenommene und neugierige Haltung hilft, anderen Menschen offen zu begegnen und vorschnelle Urteile zu vermeiden. Andere Elemente des Trainings sind abgeleitet aus dem familientherapeutischen Ansatz von Helle Jensen, die auch Teil des Projektteams ist, und Jesper Juul. Ziel ist es vor allem, die Werte der Gleichwürdigkeit und Verantwortung zu verinnerlichen. Es werden schwierige, konfliktbehaftete oder in anderer Form belastende Situationen reflektiert. Dabei übt man, die eigenen Emotionen zu erkennen, Gründe für das eigene Verhalten zu verstehen und sich unterschiedlicher Perspektiven auf dieselbe Situation bewusst zu werden.

Und wie fördern sie das interkulturelle Lernen?

Über einen Erfahrungsansatz. Beispielsweise lassen wir die Teilnehmenden spielerisch erleben, wie es ist, die Regeln nach denen eine Gruppe handelt, in die man neu hinzukommt, nicht zu kennen und ständig „Fehler“ in den Augen der anderen zu machen. Sie erfahren außerdem, wie es sich anfühlt, wenn man auf der Basis von Vorurteilen behandelt wird – und nicht als Individuum. Unsere Übungen sollen ebenso erfahrbar machen, dass vieles schwieriger ist, wenn man bestimmte Privilegien nicht hat. Lehrpersonen werden zudem dazu angeregt, kritisch zu reflektieren, inwiefern die familiären Hintergründe von Kindern und Jugendlichen, oder ihre Annahmen darüber, ihr pädagogisches Verhalten oder ihren Umgang mit den Eltern beeinflussen.

„Übungen lassen die Teilnehmenden erleben, wie es sich anfühlt, wenn man auf der Basis von Vorurteilen behandelt wird – und nicht als Individuum.“

Zum Abschluss vielleicht noch ein paar persönliche Worte: Warum wünschen Sie sich, dass Hand in Hand ein Erfolg wird?

Als externe Evaluatorinnen müssen wir natürlich möglichst neutral sein. Erfolgreich ist das Projekt für uns vor allem dann, wenn wir dazu beitragen können, dass wir alle gemeinsam – also Forschung, Bildungspraxis und natürlich die Kinder und Jugendlichen – etwas darüber lernen, wie und unter welchen Bedingungen soziales, emotionales und interkulturelles Lernen in der Schule gelingen kann. Wir hoffen, dass sich im Ergebnis dort alle wohler fühlen, dass es weniger Mobbing, Diskriminierung und Gewalt gibt. Das würde uns glücklich machen.

 

Dr. Svenja Vieluf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung „Bildungsqualität und Evaluation“ des DIPF. Zu den Forschungsinteressen der empirischen Bildungsforscherin gehören unter anderem die Schüler-Lehrer-Beziehungen, die Unterrichtsqualität, der Umgang mit Diversität in der Schule und interkulturelles Lernen.

Dr. Nina Roczen ist ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin der DIPF-Abteilung „Bildungsqualität und Evaluation“ und Psychologin. In ihren wissenschaftlichen Arbeiten befasst sie sich mit großen Schulleistungsuntersuchungen, mit globalen und bürgerschaftlichen Kompetenzen sowie mit Bildung für eine nachhaltige Entwicklung.

 

Viele weitere Informationen zu „Hand in Hand – Social and Emotional Skills for Tolerant and Non-discriminative Societies (A Whole School Approach)” finden sich auf der Website des Projekts (in fünf Sprachen, darunter in Deutsch)

Das diesjährige Bildungspolitische Forum, das am 23. Oktober in Berlin stattfindet, legt den Fokus auf die sozialen und emotionalen Kompetenzen. Auf dieser Veranstaltung des Leibniz-Forschungsverbundes „Bildungspotenziale“ diskutieren Wissenschaft, Politik und Praxis die Rolle dieser Fähigkeiten in Bildungskontexten – Titel des Forums: „Bildung braucht mehr als einen klugen Kopf.“

 

Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Philip Stirm für DIPF.