Abebayehu M Mekonnen von der Universität Addis Abeba in Äthiopien ist Sprachwissenschaftler, leitet die Wohltätigkeitsorganisation Fana Ethiopia, die Kinder mit Lese- Rechtschreibschwäche unterstützt – und ist noch bis zum Jahresende Gastwissenschaftler am DIPF. Er möchte am Institut Netzwerke für seine Forschung knüpfen und mehr über die Projekte zu Lernschwächen im Haus erfahren. Wir heissen Abe willkommen in Frankfurt: mit einem Gespräch über Bildungsforschung in einem Entwicklungsland, über das Bedürfnis, der eigenen Heimat etwas zurückzugeben, und über den besten Apfelkuchen Deutschlands.
Herzlich Willkommen hier am DIPF, Abe! Wir freuen uns, Dich als Gastwissenschaftler am Institut begrüßen zu dürfen. Kannst Du uns ein bisschen über Deinen wissenschaftlichen Hintergrund und Deine Forschung berichten?
Ich habe meinen Abschluss in Sprachwissenschaft in England an der Universität von Sheffield erworben und lehre und forsche nun an der Universität von Addis Abeba in Äthiopien. Mein Forschungsinteresse gilt der Manifestation von Lese-Rechtschreibschwäche in den unterschiedlichen Sprachen, die in meiner Heimat gesprochen werden – mehr als 80 verschiedene immerhin! Wir verfügen bisher nicht über das entsprechende Assessmentmaterial zu Lese-Rechtschreibschwäche und anderen Lernschwächen in diesen Sprachen. In der Forschung weiß man, dass der kognitive Prozess, der einer Rechtschreibschwäche zugrunde liegt, bei allen Menschen derselbe ist. Aber die Art, wie sich Rechtschreibschwäche ausprägt, variiert von Sprache zu Sprache und von einem Schreibsystem zum anderen. Mein Ziel ist es, genauer herausfinden, wie Rechtschreibschwäche sich in den unterschiedlichen äthiopischen Sprachen niederschlägt.
Und nun bist Du hier am DIPF. Was genau versprichst Du Dir von dem Aufenthalt?
Am DIPF arbeiten etablierte und erfahrene Expert*innen im Forschungsfeld der Lernschwächen, mit denen ich mich austauschen, Netzwerke knüpfen kann, auch im Hinblick auf eine zukünftige Zusammenarbeit. Zu sehen, wie Projekte hier durchführt werden, hilft mir sehr für meine eigene Arbeit. Ich habe bereits mein Forschungsprojekt den Kolleg*innen der Abteilung Bildung und Entwicklung (BiEn) präsentiert. Im Anschluss haben sich sehr hilfreiche Diskussionen und Gespräche ergeben. Und Anknüpfungspunkte, die über das Institut hinausgehen. So haben beispielsweise Forscher*innen der Universität von Tel Aviv mit mir Kontakt aufgenommen, weil sie sich für mein Projekt interessieren und sich mit mir austauschen wollen. Die ersten drei Wochen am DIPF waren also bereits sehr erfolgreich für mich!
„Ich sehe mich als Wissenschaftler und Praktiker, bewege mich zwischen zwei Welten: der akademischen und der gemeinnützigen.“
Die Erforschung von Lernschwierigkeiten ist allerdings für Dich nur die eine Seite. Auf der anderen Seite geht es Dir auch um gemeinnützige Arbeit …
Ich sehe mich als Wissenschaftler und als Praktiker – und bewege mich zwischen zwei Welten: der akademischen genauso wie der gemeinnützigen. Als ich in England meinen Abschluss gemacht habe, stellte sich für mich die Frage: Bleibe ich nun hier in Europa oder gehe ich zurück in meine Heimat und gebe den Menschen dort durch mein Wissen etwas zurück? Denn in Äthiopien gibt es weder eine rechtliche noch eine institutionelle Anerkennung von Lernschwächen. Das Bewusstsein dafür fehlt: unter den Lehrkräften, den Eltern, den politischen Entscheidungsträger*innen. Was soll ich also in Europa, wenn ich weiß, dass sich in meiner Heimat Kinder mit Lernschwächen noch immer voller Scham hinter ihren Tischen verstecken? Sie werden als faul bezeichnet, als Störenfriede, als dumm. Diese Kinder brauchen jemanden, der für sie einsteht und sie aus dieser schmerzlichen Lage befreit.
Wie möchtest Du diesen Kindern konkret helfen?
Indem ich mit meiner Organisation Fana Ethiopia, die ich vor sieben Jahren zusammen mit Gleichgesinnten ins Leben gerufen habe, die Öffentlichkeit informiere, vom Bildungsbereich bis in die Politik. Und indem ich konkrete Unterstützungsarbeit an Schulen leiste, zum Beispiel durch Kurse für Lehrkräfte. Wir arbeiten außerdem an Infomaterial für Eltern und Lehrer*innen, um das Thema für alle Beteiligten präsenter zu machen. Was ist eine Lese-Rechtschreibschwäche? Wie lässt sie sich erkennen? Wie kann man die Kinder praktisch unterstützen in einer solchen Situation?

Was muss sich ändern im Umgang mit Lernschwierigkeiten in deiner Heimat?
Bereits in der Ausbildung müssten zukünftige Lehrkräfte zumindest ein Grundlagenwissen zu diesem Thema erwerben, ganz egal, welches Fach sie einmal unterrichten werden. Unser Ziel ist es auch, diesen Bedarf auf politischer Ebene deutlich zu machen.

Jetzt wird es noch kurz ein bisschen privat. Kannst Du schon ein Fazit ziehen, nach einem Monat in Deutschland und Frankfurt? Was gefällt Dir hier?
Ich mag Deutschland und die Stadt Frankfurt sehr. Nur die Wohnungssuche war wirklich nicht einfach. Doch nun lebe ich bei einer bezaubernden Familie, die mich über alle Maßen verwöhnt: mit einem toll ausgestattetem Zimmer, frisch gebackenem Apfelkuchen und sogar einer Bierprobe. Ich fühle mich schon jetzt wie zu Hause hier!
Danke Dir für die spannenden Einsichten in deine Arbeit und weiterhin viel Erfolg, lieber Abe!
English Version:
„Giving Back to my Community“
Abebayehu M Mekonnen from Addis Ababa University in Ethiopia is teaching linguistics, heads a charity organization that supports children with learning disabilities in his home country – and is now a visiting scholar at the DIPF until the end of the year. He would like to establish networks for his research at the institute and learn more about the projects of the scientists concerning learning disabilities at the institute. We welcome Abe to Frankfurt – with a conversation about educational research in a developing country, about the need to give something back to one’s homeland, and about the best apple pie in Germany.
Welcome here at the DIPF, Abe! We are happy to welcome you as a guest researcher at the institute. Can you tell us a little bit about your scientific background and your research work?
I teach and research at the university of Addis Ababa at the department of lingusitics and I am also a practicioner. I have been researching on manifestations of dyslexia in Ethiopian languages. Ethiopia is a multilingual nation with more than 80 languages. We don’t have assessment materials in this languages for dyslexia and other learning disabilities. So I study how dyslexia is manifested in these languages. From the studies we know, that the underlining cognitive process related to dyslexia is the same across languages and across human beings, but the ways in which dyslexia manifests itself varies from one language to another and from one writing system to another.
And now you are here at DIPF! What exactly do you expect from your stay?
The institution is full of established, accomplished researchers. I want to establish research and working connections with these experts in the area of learning disabilities. So one of my hopes is to establish academic research collaborations, a network, as well as to learn from the research that they are doing here. To get to know the projects here at the moment and to learn how things are done here and to adopt methods used here and customize them for my project. I have already given a talk on my research project and many people attended it online. Following that talk, there were people who have shown interest in my project and who would like to collaborate and further discuss ideas. Even from abroad: I have received an email from researchers from Tel Aviv University who are interested in my project. So the first three weeks have already been quiet fruitful for me!
However, researching learning difficulties is only one part of your interest. On the other hand, you are also interested in community service…
I am involved in academia and in community work. When I finished my PhD in England I had these two options. Either to remain in Europe and look for a job or to go back to my country and give back to my community. There is no legal and institutional recognition for dyslexia or learning disabilities because of lack of awareness: among teachers, parents, policy makers. So I said to myself: What am I doing in europe knowing that there are many children hiding behind desks. They are being labeled as lazy, disruptive, stupid. These children need someone to help them out of this painful experience.
How do you want to help these children concretely?
I established the organization Fana Ethiopia with some likeminded people seven years ago and work on educating the public, communites and policy makers. We have been able to provide help and support for children with learning disabilites and to give courses for teachers about this issue. In brochures we try to raise awareness by addressing questions like: What is a learning disability? How can it be recognized? How can one practically support the children in such a situation?
What needs to change in the way you deal with learning disabilities in your home country?
I should be part of the teachers training to learn something about this issue, regardless of what subject they will teach one day. Teacher need to know the basic ideas about learning disabilities. That is what we are advocating for at political level.
Can you already draw a conclusion after one month in Germany and Frankfurt? What do you like here?
I really like Germany and the city of Frankfurt. Only the search for an apartment was really difficult. But now I live with a charming family who spoils me beyond measure: with a great equipped room, freshly baked apple pie and even a small German beer tasting. I already feel at home here!