„Die digitale Transformation der Historischen Bildungsforschung fördern und reflektieren“

Die Bedeutung der Digital Humanities (digitale Geisteswissenschaften) – zum Beispiel die Arbeit mit digitalen Forschungsdaten – nimmt stetig zu. Das gilt auch für die Historische Bildungsforschung. Hier setzt die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) am DIPF an und gründet ein „Digital History of Education Lab“: das DHELab. Was genau geplant ist, erläutern uns die für das Projekt mitverantwortlichen Wissenschaftler*innen Dr. Linda Freyberg und Daniel Erdmann.

Können Sie uns zunächst vielleicht einmal erläutern, vor welchem Hintergrund das DHELab gegründet wird?

Erdmann: In den Geisteswissenschaften lässt sich eine stete Zunahme der Bedeutung der Digital Humanities, also der Anwendung von digitalen Methoden und Tools, erkennen. Außerdem setzen sich die Geisteswissenschaften intensiv mit der Digitalität als Phänomen auseinander: Dies gilt auch für die Historische Bildungsforschung und für das Forschungsfeld „Digital History“. Hier ergeben sich für uns viele Anknüpfungspunkte und Kooperationsmöglichkeiten.

Denn der BBF ist das Thema alles anderes als fremd. Sie beschäftigt sich bereits seit über 20 Jahren mit Fragen und Themen der Digitalisierung und bietet Datenbanken wie ScriptaPaedagogica oder PicturaPaedagogica für Forschende an. Wir wissen quasi aus erster Hand, dass die Verfügbarkeit von und auch die Nachfrage nach retrodigitalisierten und genuin digitalen Quellen für die Forschung kontinuierlich ansteigt.

Freyberg: An dieser Stelle setzt das DHELab an. Eine Besonderheit des Labs ist, dass die Perspektive der Infrastruktur – also der Aufbereitung, Bereitstellung und nachhaltigen Nutzbarmachung von digitalen Beständen – und der Forschung zusammen gedacht wird. Das ist zentral, denn wir stehen vor der großen Herausforderung, digitale Bestände und Forschungsdaten nutzbar zu machen und gleichzeitig neue digitale Methoden und Tools zu erproben. Mit unserem Angebot lassen sich nun verschiedene Möglichkeiten ausloten. Das heißt, es ist explizit dazu gedacht, bislang nicht beschrittene Wege zu erproben, was auch das „Risiko“ beinhaltet, mal in einer Sackgasse zu landen. Daher ist der Begriff des Labs auch genau passend.

Allerdings begegnet diesem Ansatz teilweise durchaus eine gewisse Skepsis, darum soll das Lab auch einen Raum bieten, um die digitale Transformation der Historischen Bildungsforschung kritisch-reflexiv zu begleiten: Ziel ist, die Kompetenzen in diesem Bereich auszubauen, die Möglichkeiten und den Einfluss entsprechender Verfahren praktisch zu erproben und zu erforschen, zugleich aber auch die Auswirkungen auf den gesamten Forschungsprozess prüfend zu hinterfragen.

Was wird das DHELab bieten?

Erdmann: Es sind bereits verschiedene Maßnahmen und Angebote geplant und denkbar, die zum Teil auch schon mit dem jetzt erfolgten Startschuss für das Lab umgesetzt sind:

• Wir werden Vorschläge und Anleitungen zur Arbeit mit den digitalen Beständen der BBF geben. Durch das DHELab wird die BBF noch stärker zu einer aktiven Datenlieferantin.

• Wir planen Schulungen, Vorträge und Weiterbildungen. Das Stichwort hier ist „tool literacy“, also die grundlegende Befähigung, neue Methoden effektiv und reflektiert anwenden zu können.

• Ganz konkret werden wir aber natürlich auch den Umgang mit spezifischen Tools und Softwareanwendungen anleiten.

• Und natürlich bieten wir vor Ort zum einen Hardware und Räumlichkeiten, zum anderen aber auch lizenzierte Zugänge zu Software oder zu geschützten Beständen.

Können Sie vielleicht beispielhaft noch ein wenig konkretisieren, was das umfasst – vor Ort in Berlin aber auch im virtuellen Raum?

Freyberg: Das Lab startet erst einmal mit einem virtuellen Vortragsformat: Es wird Vorträge von Kolleg*innen der BBF wie auch von externen Expert*innen geben – zunächst jeweils am letzten Freitag des Monats, daher auch der Name: „Last Friday’s Lab Talk“.

Außerdem bieten wir bereits Einführungen in unsere – auch digitalen – Bestände und werden das an der BBF künftig mit regelmäßigen, digitalen Formaten weiter ausbauen.

Im DHELab werden wir in Zukunft spezifische Workshops zu digitalen Tools und Methoden anbieten: zum Beispiel zu Text Mining, also zu computergestützten Verfahren für semantische Analysen großer Mengen unstrukturierten Texts, zu Transkribus, einer KI-Plattform zur Analyse historischer Dokumente, und noch zu vielem mehr. Auch Visualisierung als Erkenntnismethode und Präsentationsmittel sowohl für digitale Bestände als auch Forschungsergebnisse wird ein übergeordnetes Thema darstellen. Diese Workshops werden insbesondere von der Vielfalt und den unterschiedlichen fachlichen Hintergründen der Referent*innen leben.

Die Ausstattung des physischen Raumes in der BBF wird sich an den Bedarfen der Forschenden orientieren. Sämtliche Angebote werden in Abstimmung mit den relevanten Communitys eingeführt und weiterentwickelt. Im kommenden Jahr führen wir dazu eine Bedarfserhebung durch. Wir wollen erfahren, wie historisch Forschende momentan digitale Tools nutzen und welche Anforderungen sie in der Zukunft erwarten.

Mit welchem Ziel rufen Sie das Lab ins Leben? Und an wen richten Sie sich damit?

Erdmann: Wir wollen mit dem Lab die digitale Transformation der Historischen Bildungsforschung fördern und diese dabei zugleich kritisch reflektieren. Vor allem möchten wir historisch und spezifisch bildungshistorisch Forschenden gewissermaßen Hilfe zur Selbsthilfe leisten und zum gemeinsamen Experimentieren und Austauschen einladen.

Das Lab richtet sich mit diesem Vorhaben an alle Menschen, die zur Bildungsgeschichte wissenschaftlich oder auch jenseits der Wissenschaft arbeiten, die die BBF-Bestände nutzen möchten oder Unterstützung bei der Anwendung von digitalen Tools benötigen. Mit dem Angebot wollen wir neben der Historischen Bildungsforschung auch die Community der Digital Humanities, und dabei insbesondere der Digital History erreichen.

Wie wird die BBF das Vorhaben unterstützen?

Freyberg: Die BBF bringt in das DHELab eine breite Expertise ein: An der Weiterentwicklung und Umsetzung des Labs sind Kolleg*innen aus Infrastruktur und Forschung, Expert*innen der Historischen Bildungsforschung, Informationswissenschaftler*innen, Archivar*innen, Entwickler*innen und Bibliothekar*innen beteiligt. Einerseits soll das Lab die Nutzung unserer digitalen Bestände fördern, andererseits möchten wir Kompetenzen für die Analyse und Präsentation von Forschungsdaten vermitteln.

Vielen Dank für die Erläuterungen!

Dr. Linda Freyberg ist promovierte Kulturwissenschaftlerin und hat einen Hintergrund in Bibliothekswissenschaft und Kunstgeschichte. Sie forscht zu Themen wie Bildlichkeit, Visualisierung, Kulturdaten und Citizen Science. An der BBF ist sie seit Oktober 2022 für die digitale Transformation und dabei insbesondere für die Vermittlung von (nichttextuellen) Forschungsdaten zuständig.

Daniel Erdmann ist Erziehungswissenschaftler mit einem Schwerpunkt auf Historischer Bildungsforschung. In seiner wissenschaftlichen Arbeit zu Themen der Disziplingeschichte und der Historischen Wissenschaftsforschung befasst er sich mit Methoden und Verfahren aus dem Bereich der Digital Humanities, insbesondere mit Distant Reading und Text Mining. An der BBF ist er seit September 2022 für die digitale Transformation und dabei insbesondere für die Vermittlung von (textuellen) Forschungsdaten zuständig.

Beide Expert*innen konnten im Rahmen der Verstetigung einer weitreichenden Forschungsdaten-Infrastruktur als Erweiterung des DIPF für die Tätigkeit an der BBF gewonnen werden.