Der Rolle des Geschlechts auf der Spur

Viele Forschungsarbeiten gehen davon aus, dass Gruppen kooperativer und integrativer gemeinsam lernen können, wenn sie dabei von Computern unterstützt werden. Welche Rolle spielt aber bei einer solchen Zusammenarbeit, ob es sich um geschlechtergemischte Gruppen handelt? Und wie wirken sich in diesem Zusammenhang Geschlechterstereotype aus? Diesen Fragen ist ein Team um Wissenschaftlerin Dana Kube nachgegangen. Im Interview erläutert sie den Kontext und den Ablauf der Untersuchung.

Vor dem Hintergrund, dass Frauen in den MINT-Fächern unterrepräsentiert sind, befassen Sie sich in Ihrer Forschung ja intensiv mit der Rolle des Geschlechts in computerunterstützten Gruppenarbeiten der Informatikforschung. In Ihrer aktuellen Studie blicken Sie ganz konkret auf einen Game-Design-Hackathon, den Sie in Frankfurt organisiert und an dem Informatik-Studierende aus drei Hochschulen teilgenommen haben. Was genau haben Sie da untersucht?

Hackathons sind ein gutes Beispiel für die Lernkultur in der Informatik. Es geht darum, unter Druck in Gruppenarbeit IT-Entwicklungen voranzubringen. Dabei kann es schon mal hoch hergehen und teilweise wird über mehrere Tage gearbeitet. In diesem spezifischen Kontext kommen verschiedene Geschlechtergruppen – Mann, Frau und andere – zusammen. Mit unserer Studie wollten wir nun zum einen verstehen, wie die Teilnehmer*innen die Bedeutung ihres Geschlechts in dieser geschlechtergemischten Teamarbeit wahrgenommen haben? Und daran orientiert wollten wir das Untersuchungskonstrukt Geschlecht genauer operationalisieren und messen – mit einer Skala, die das darauf bezogene kollektive Selbstbewusstsein in einem Team differenzierter erfasst. Wir wollten überprüfen, ob sich damit die Erfahrungen und Arbeitsergebnisse des Teams genauer vorhersagen lassen. Übergreifendes Ziel dieser Arbeiten ist es, zu besseren Erkenntnissen zu gelangen, wie man den genannten „gender bias“ in der MINT-Bildung verringern kann.

Dann mal ein Blick auf die Abläufe: Wie sind Sie konkret vorgegangen?

Zu Beginn haben wir alle Teilnehmenden einen Fragebogen ausfüllen lassen. Darin ging es unter anderem um ihre Einstellungen zur Gruppenarbeit und zu Hackathons sowie ihre Informatik-Vorkenntnisse. Vor allem wollten wir aber von ihnen wissen, welche Bedeutung ihre ganz individuelle Geschlechtsidentität und die sozial eingebundene Zugehörigkeit zur Gruppe der Männer, der Frauen oder der eines anderen Geschlechts für ihr Selbstbewusstsein innerhalb des Teams haben. Zusätzlich haben die Teilnehmenden nach jedem Arbeitstag die Teamleistung und ihre eigene Leistung bewertet. Die Ergebnisse dieser Fragebögen haben wir mit den Teilnehmenden außerdem in qualitativen Interviews vertiefend diskutiert.

Jetzt sind wir natürlich gespannt, welche Rolle das Geschlecht in den Erfahrungen der Teilnehmenden gespielt hat?

Die selbst erlebte individuelle Geschlechtsidentität empfanden alle Teilnehmenden als keinen wichtigen Faktor für ihre Erfahrungen und Leistungen auf dem Hackathon. Um es plakativ in einem Beispiel auszudrücken: Die Frauen in der Gruppe fanden, dass ihre Leistungen während des Hackathons wenig mit ihrem Geschlecht zu tun hatten. Als bedeutsam beurteilen sie aber das Bewusstsein, als Teil einer spezifischen Geschlechtergruppe wahrgenommen zu werden. Der soziale Kontext war also von entscheidender Bedeutung. Denn zur Gruppe der Frauen oder Männer zu gehören, bedeutet in der Informatik, mit geschlechtsspezifischen Stereotypen und Ungleichbehandlungen zu kämpfen. Das wiederum hat sich nach Angaben der Teilnehmenden auf ihr jeweiliges Verhalten bei dem Hackathon ausgewirkt. Zum Beispiel hatten die Frauen, die es in der Informatik gewohnt sind, in der Unterzahl zu sein, immer das Gefühl, extra gut und leistungsstark sein zu müssen. Damit folgten sie ihrem gewohnten Muster, der „Lonely-Fighter-Einstellung“, um gleichermaßen akzeptiert und anerkannt zu werden. Männer wie Frauen beurteilten es insgesamt sehr kritisch, wie sich Geschlechterstereotype auf die Kommunikation, die Teamrollen und die Arbeitsaufteilung ausgewirkt haben. So waren beispielsweise die leitenden Personen immer Männer – obwohl das nicht vorgegeben war.

Was nehmen Sie anhand dieser Ergebnisse für den Umgang mit Stereotypen in der Informatik und sicherlich auch in den anderen MINT-Fächern mit? Was für die Forschungsmethodik?

Bei einem solchen Hackathon könnten wechselnde Rollen in Teams ein möglicher Ansatz sein, um zu mehr Geschlechterparität beizutragen. Denkbar wären auch Verhaltenskodexe, die auf dieses Problem aufmerksam machen. Methodisch haben wir durch das Erproben anderer Instrumente gezeigt, dass die Rolle des Geschlechts in der Bildung vom sozialen Kontext abhängig ist und dementsprechend erhoben und eingeordnet werden muss. Das kommt in der IT-Forschung bislang zu kurz. Will man beispielsweise persönliche oder Gruppenleistungen nach Geschlechtern getrennt untersuchen, müssen die in der Lernumgebung vorherrschenden Geschlechterwahrnehmungen und -erwartungen miteinbezogen werden.

 

Dana Kube ist assoziierte Wissenschaftlerin des DIPF. Sie hat Politik- und Rechtswissenschaften in München sowie internationale Migrationsforschung im schwedischen Malmö studiert. Außerdem war sie bereits für die EU und die GIZ als internationale Projektmanagerin tätig. In ihrer Forschung interessiert Sie sich vor allem dafür, wie sich Bildung digital unterstützen lässt und welche Rolle dabei das Geschlecht spielt.