„Darin liegt die Zukunft“

Rund 60 Doktorandinnen und Doktoranden zählt das DIPF derzeit. Im Interview mit unserem Instituts-Journal DIPF informiert erläutert Professor Dr. Marcus Hasselhorn die Besonderheiten der Nachwuchsförderung an einem außeruniversitären Institut wie dem DIPF. Er stellt klar, warum es so wichtig ist, angehende Forscherinnen und Forscher zu betreuen und in die eigene Arbeit einzubinden. Und er erzählt davon, wie er selbst „in den Bann akademischen Denkens, Argumentierens und Reflektierens gezogen“ wurde.

Was ist Ihnen aus Ihrer eigenen Zeit als Doktorand besonders in Erinnerung geblieben?

Hasselhorn: Ich erinnere mich noch deutlich daran, wie ich überhaupt Doktorand geworden bin. Franz Emanuel Weinert, damals Professor an der Universität Heidelberg, Betreuer meiner Abschlussarbeit im Psychologiestudium und kurz darauf Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung in München, sprach mich direkt an: Ob ich mir nicht vorstellen könnte, bei ihm zu promovieren? Während ich bis dahin nie daran gedacht hatte, war er überzeugt, dass das der richtige Schritt für mich sei – woraufhin ich mich damit auseinandersetzte. Er kannte ja meine Interessen und schlug mir das Thema „Möglichkeiten der Trainierbarkeit des Gedächtnisses von Schulkindern“ vor. Ich sichtete also intensiv die entsprechende Literatur. Nach drei Monaten musste ich ihm allerdings mitteilen, dass mir das Thema zu groß erscheine, da noch zu viele Grundlagenkenntnisse im Detail fehlten. Aus meiner Sicht fehlte es zunächst an Bedingungsanalysen, um zu ergründen, welche individuellen Kompetenzen überhaupt in die Gedächtnisleistung eingehen. Er lachte und meinte: „Gut, dann ist das jetzt ihr Thema.“ Seine Begründung: Eine Dissertation sei nicht nur eine akademische Qualifikation. Sie diene auch der Identitätsbildung. Wenn ich also zu diesem Schluss gekommen sei, sollte man ihn auch aufgreifen.

„Differentielle Bedingungsanalyse verbaler Gedächtnisleistungen bei Schulkindern“ wurde dann ja auch Ihr Thema: Wie haben Sie es erlebt, an einem Max-Planck-Institut zu promovieren?

Ich habe dort ein Füllhorn an Anregungen erhalten und es als große Bereicherung empfunden, an einem außeruniversitären Institut promovieren zu dürfen. Ich lernte so viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ähnlichen Interessen kennen und es gab stets Ansatzpunkte für vertiefende Diskussionen. In den zweidreiviertel Jahren, die ich dort promovierte, wurde ich in den Bann akademischen Denkens, Argumentierens und Reflektierens gezogen. Ich habe zudem erlebt, dass außeruniversitäre Institute einen Nachwuchswissenschaftler besser mit Ressourcen unterstützen können. Ein Beispiel: Während ich als Promovend die Reisen zu Fachtagungen bezahlt bekam, musste ich sie später als Habilitand an der Universität über Jahre hinweg selbst finanzieren.

Sehen Sie bei der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung generell große Unterschiede zwischen außeruniversitären Instituten und den Universitäten?

An außeruniversitären Einrichtungen wie dem DIPF stehen bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses die Weiterqualifikation und das ernsthaftes wissenschaftliche Bemühen an erster Stelle. An Universitäten fallen zusätzlich umfangreiche Aufgaben im Lehrbetrieb an. Hinzu kommt die eben beschriebene größere Ressourcenfreiheit, die Qualifikantinnen und Qualifikanten an außeruniversitären Instituten wie dem unseren genießen. Weiterhin herrscht bei uns eine andere Diskussionskultur: Wir können Gruppen zu Themenbereichen bilden, die allen Beteiligten – also auch der Promovierenden untereinander – eine diskursive Vernetzung ermöglichen. Aus den Diskussionen der jungen Leute hier am DIPF sind schon neue Projekte entstanden, an die ich nie gedacht hätte. Die Doktorandinnen und Doktoranden publizieren oft gemeinsam – arbeitsgruppen- und abteilungsübergreifend und auch in internationalen Fachzeitschriften. Das ist viel mehr als die einzelne wissenschaftliche Arbeit früherer Tage.

Was haben Sie aus Ihrer eigenen Zeit als Doktorand mitgenommen, das Sie heute weitergeben?

Ich habe mir geschworen, meinen Promovierenden möglichst ähnlich gute Bedingungen zu bieten, wie ich sie genossen habe. Und ganz wie Professor Weinert seinerzeit spreche ich Studentinnen und Studenten, die ich beispielsweise als Hilfskräfte bereits kennen- und schätzen gelernt habe, an, ob sie sich vorstellen können, zu promovieren. Wenn ja, bemühe ich mich, Finanzierungsmöglichkeiten für eine Promotion auf ihrem Interessensgebiet einzuwerben. Auch in Bewerbungsgesprächen versuche ich stets, mehr über Motivation, Ziele und Eigenständigkeit der Personen zu erfahren. Denn wenn Promovieren ein Element der eigenen Identitätsbildung ist, geht es darum, dass ein junger Mensch eigene Fragen hat und bereit ist, Lebenszeit zu investieren, um sie zu beantworten.“

„Welche besondere Qualität hat die Nachwuchsförderung des DIPF?“

Ein Punkt ist sicherlich, dass wir über die intensive individuelle Betreuung hinaus ein strukturiertes internes Promotionsprogramm anbieten. Ganz generell lässt sich sagen, dass wir sowohl materielle als auch ideelle Ressourcen in die Nachwuchsförderung investieren. Wir finanzieren etwa auch Doktoranden- und Postdoktorandenstellen, die nicht an Projekte gebunden sind. Die müssen aber ebenso Aufgaben abdecken, wie sie ihre drittmittelfinanzierten Kolleginnen und Kollegen leisten. Ziel ist, dass die Arbeit so gleichmäßig verteilt ist, dass jeder zumindest 50 Prozent seiner Arbeitszeit für seine eigene Qualifikationsarbeit verwenden kann. Ideell heißt, dass diejenigen, die schon weiter sind, eingebunden werden in die Betreuung. Und wir vermitteln Werte, etwa dass es wichtig ist, auf Fachtagungen zu fahren, dort eigene Beiträge zu präsentieren, dass es sich lohnt, mal drei Monate ins Ausland zu gehen, um mit anderen Forschungsgruppen in Kontakt zu kommen. Dazu ermutigen wir sie. Nicht zuletzt dient es auch der Vernetzung des Instituts.

Gibt es noch mehr Gründe, warum die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses wichtig für das DIPF ist?

Gute Forschung wird immer mehr eine Teamangelegenheit. Darin liegt die Zukunft. Beispielsweise werden Publikationen heute viel häufiger als früher von mehreren Personen gemeinsam erstellt. Wir haben einfach gelernt, wie wichtig es ist, dass wissenschaftliche Fragen schon vor Veröffentlichungen ausgiebig diskutiert werden – mit Personen aller Qualifikationsstufen. Ich merke selbst häufig, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen in den sie interessierenden Fragen viel weiter gedacht haben als ich. Ohne eine solche Nachwuchsförderung würde die Qualität der Forschung am DIPF nach meiner Prognose deutlich schlechter werden. Wer Spitzenforschung machen will, sollte dafür sorgen, dass ihn dabei immer die neueste Generation wissenshungriger Nachwuchskräfte begleitet.

Vielleicht erläutern Sie noch kurz, welche weiteren Aktivitäten im Bereich der Nachwuchsförderung das DIPF neben der Doktorandenbetreuung betreibt?

 

Kernaufgaben unseres Instituts sind die Bildungsforschung und die Bildungsinformation. Die Aufgaben in der Bildungsinformation haben oft nur mittelbar mit Forschung zu tun, daher stehen dahinter eher Ausbildungen und Volontariate. Folgerichtig bilden wir auch solche Informationsberufe aus. Dann gibt es noch eine ganz andere Ebene. Wir wollen uns dauerhaft und hochwertig am Wissenschaftsmarkt platzieren. Das führt dazu, dass das DIPF auch in der Verwaltung ausbildet. Denn eine gute Verwaltung ist auch in Zukunft vonnöten, damit die Forscherinnen und Forscher den Kopf frei haben für die Kernaufgaben des Instituts.

Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Philip Stirm für DIPF.

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