Was die Psyche von Kindern braucht

Neben körperlichen Notwendigkeiten wie Essen und Schlaf gibt es auch elementare psychologische Grundbedürfnisse – zum Beispiel das Gefühl der Verbundenheit zu Freund*innen und Verwandten. Am DIPF möchte man mehr darüber herausfinden, wie es um die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse bei Kindern und Jugendlichen bestellt ist. Denn das spielt für ihre Motivation eine entscheidende Rolle und könnte ihnen zum Beispiel helfen, mit mehr Freude und Ausdauer zu lernen.

Doch wer mehr über die psychologischen Grundbedürfnisse herausfinden möchte, muss zunächst wissen, um was genau es sich dabei handelt: „Historisch wurde hierzu schon viel vorgeschlagen, im Grunde alles, was Verhalten motiviert“, erläutert Dr. Andreas Neubauer, der das Thema am DIPF erforscht. Im Lauf der Zeit hat sich aber doch eine essentielle Auswahl herauskristallisiert. Ein verbreiteter und in der Fachwelt sehr anerkannter Ansatz hierzu ist die Selbstbestimmungstheorie, die in den frühen 80er-Jahren entstanden ist. Sie grenzt drei Kern-Grundbedürfnisse ein.

„Historisch wurde im Grunde alles, was Verhalten motiviert, als psychologisches Grundbedürfnis vorgeschlagen.“

Demnach kommt es auf das Gefühl der Autonomie, der Kompetenz und der Zugehörigkeit an. Autonomie heißt, dass man aus eigenem Antrieb handelt, nicht auf Anweisung oder aus schlechtem Gewissen. Man ist daher mit Lust und Spaß bei der Sache. Bei Kompetenz geht es darum, Einfluss auf seine Umwelt zu haben – etwas gut zu können und damit etwas zu bewirken. Zugehörigkeit beschreibt die genannte emotionale Nähe zu Menschen, die einem persönlich wichtig sind. „Doch hier kommt es auf die Wechselseitigkeit an“, wie Neubauer klarstellt. Das Gefühl der Zugehörigkeit entsteht demnach, wenn Wertschätzung gegeben und zugleich auch erhalten wird.

Von der Forschungslücke zur nachhaltigen Motivation

Es besteht also ein fundiertes theoretisches Gerüst und es gibt auch etablierte Fragebögen, um bei Erwachsenen herauszufinden, inwieweit ihre psychologischen Grundbedürfnisse befriedigt sind. Was dem Psychologen Neubauer und seinen Mitforschenden aber auffiel: Für Kinder sind solche Messinstrumente maximal lückenhaft vorhanden. So erfassen die Fragebögen teilweise nur einzelne Komponenten der Bedürfnisse, andere sind relativ eins zu eins von den Erwachsenen übernommen wurden. „Bei diesen war zum Beispiel die Sprache nicht kindgerecht“, so Neubauer. Zur Erläuterung nennt er Sätze wie „Meine Handlungen sind Ausdruck meines wahren Ichs“, mit denen Jüngere eher wenig anfangen können.

„Wenn die Grundbedürfnisse erfüllt sind, verinnerlicht man die Motivation für sein Handeln stärker. Das wird autonome Motivation genannt.“

Hier setzt das DIPF-Team an. Ihr Ziel: einen verständlichen und umfassenden Fragebogen für das Alter von acht bis zehn Jahren zu erstellen, der idealerweise auch bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen anwendbar ist, um Altersvergleiche zu ermöglichen. Die so generierten Informationen über den Zustand der Kinder sind von hoher Relevanz, wie der Bildungsforscher verdeutlicht: „Wenn die Grundbedürfnisse erfüllt sind, verinnerlicht man die Motivation für sein Handeln stärker. Das wird autonome Motivation genannt.“ Ein derart motiviertes Handeln – Lernen etwa – führt zu nachhaltigeren Effekten. Sprich: Ein Kind, das von Lehrkräften und Eltern wertgeschätzt und zu eigenständigem Handeln angeregt wird und zugleich merkt, dass es etwas gut kann, ist mit mehr Spaß bei der Sache und zeigt langfristig mit großer Wahrscheinlichkeit höhere Motivation zum Lernen und somit auch bessere Schulleistungen.

Befriedigung und Frustration – eine wichtige Unterscheidung

Der Fragebogen könnte daher eine gute Orientierungshilfe sein, um den Unterricht gegebenenfalls anzupassen, ihn grundbedürfnisgerechter zu gestalten. So ein Einsatz in der Schulpraxis ist derzeit noch Zukunftsmusik, aber zumindest die Arbeiten am DIPF, um zunächst das Wissen über die Bedürfniserfüllung zu erweitern, sind schon recht weit gediehen: Der Fragebogen wurde ausgiebig mit Kindern erprobt und ist fast fertiggestellt. Neben seiner altersgerechten Umsetzung zeichnet ihn aus, dass er zwei Dimensionen der Thematik in den Blick nimmt: (1.) Das Maß der Befriedigung der Grundbedürfnisse und (2.) die aktive Frustration der Bedürfnisse.

„Befriedigung und Frustration führen zu verschiedenen Verhaltensmotivationen.“

Wo die Unterschiede liegen, wird bei einem Blick auf Beispielfragen zum Bereich der Kompetenz deutlich: So müssen die Getesteten zum einen auf einer Skala von Eins bis Fünf einordnen, ob sie heute beziehungsweise in den vergangenen vier Wochen schwierige Dinge gut hinbekommen haben (Befriedigung). Zum anderen sollen sie ebenso beurteilen, ob sie Aufgaben nicht geschafft haben, die sie eigentlich können sollten (Frustration). Neubauer betont, dass diese Unterscheidung wichtig ist: „Befriedigung und Frustration führen zu verschiedenen Verhaltensmotivationen.“ Während die Befriedigung die genannte nachhaltige Motivation hervorruft, weckt die Frustration nur den Wunsch, einen Mangel zu kompensieren, was nicht die langfristigen positiven Effekte mit sich bringt.

Das Ziel ist bestmögliche Förderung

Vom Nutzen des neuen Messinstrumentes ist der DIPF-Wissenschaftler überzeugt: „Aus Arbeiten zur Selbstbestimmungstheorie wissen wir, dass die jeweilige Umwelt entscheidend zur Erfüllung von Bedürfnissen beiträgt.“ Lehrkräfte und Eltern können mit ihrer Unterstützung also viel bewirken – wenn sie wissen, wo es anzusetzen gilt. „Wenn sich die Kinder und Jugendlichen beispielsweise mehr Autonomie wünschen, könnte man ihnen empfehlen, sich über ein Thema, dass sie interessiert, in der Wikipedia zu informieren“, führt Neubauer aus. Letztendlich soll der Fragebogen also auf jeden Fall dazu dienen, Kinder besser fördern zu können.

Mehr Informationen über das DIPF-Projekt „DYNAMO – Dynamiken bedürfnisbezogener Motivation“, in dessen Zuge der Fragebogen entwickelt wird, finden Sie hier.

Neubauer

Dr. Andreas Neubauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung „Bildung und Entwicklung“ des DIPF. In verschiedenen Arbeiten befasst sich der an der Universität Heidelberg promovierte Psychologe mit der wissenschaftlichen Untersuchung von Unterschieden zwischen Personen in Entwicklungsprozessen sowie mit der Frage, welche Bedeutung psychologische Grundbedürfnisse für Wohlbefinden haben.

Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Philip Stirm für DIPF.